Antiker Dresscode

Michael Tellenbach, Regine Schulz, Alfried Wieczorek (Hg.)
Die Macht der Toga – DressCode im Römischen Weltreich
Reiss-Engelhorn-Museen Bd. 56
Schnell + Steiner 2013, 317 S., zahlr. Abb.
ISBN 978 3 7954 2590 6

Bekleidung: Schlüssel der Gesellschaft

Schon in der Antike galt: Geld ist Macht und Bekleidung ist der sichtbare Beweis. Bekleidung ist ein sozialer Spiegel und veranschaulicht u. a. Beruf, Rang, ethnische Zugehörigkeit. Sie ist die auswechselbare und dennoch identitätsstiftende Außenhaut. Der Schritt von Staatstracht zu Bekleidungsgesetzen ist klein und schnell getan. Überall, wo sozialer Stand und politischer Rang durch Kleidung zum Ausdruck gebracht werden, wird dafür gesorgt, dass sich diese nicht angemaßt werden.

Wer, was und wie zu tragen hat, wurde vorgeschrieben. Und wer glaubt, dass sich dies heute geändert hat, irrt. Es muss ja nicht gleich eine Amtstracht oder Uniform sein, die in der Öffentlichkeit unrechtmäßig getragen, Ärger verspricht. Nein, es reicht – oft ungeschriebenen – Bekleidungsgesetzen ungenügend zu befolgen oder gar gegen diese zu verstoßen, um den Zutritt zum Club (Nobelmarken), zum Ball (langes Ballkleid, Smoking/Frack/Uniform), zu religiösen Orten (mit/ohne Kopfbedeckung, mit/ohne Schuhe, bedeckte Schultern/Beine), ins Museum (ohne Tasche), zum Strand (mit/ohne Badegewand) oder neuerdings sogar in den Kindergarten (mit Kopftuch) verwehrt zu bekommen.

Die Publikation geht den antiken Bekleidungsfragen nach. Nahezu 50 Autoren haben an dem Band mitgewirkt. Ihre Beiträge rund um Textilarchäologie, Bekleidung in Rom und in seinen Provinzen sowie in den angrenzenden Gebieten – von Skandinavien bis Ägypten – des römischen Weltreichs sind am Puls der Forschung. Das Projekt DressID: Clothing and Identities – New Perspectives on textiles in the Roman Empire liegt der Ausstellung zugrunde. Hier werden Teile der Forschungsergebnisse von über 90 Wissenschaftern an 35 Institutionen der breiten Öffentlichkeit wunderbar aufbereitet präsentiert.

Römisch, hellenistisch, ägyptisch und der Rest der Welt

Die römische Staatstracht – toga, tunica, calcei – war sündteuer und nicht für Otto Normalverbraucher, sondern bestimmten Personenkreisen und Amtsträgern vorbehalten. Der Spielraum zwischen der Billigvariante und der Luxusausführung war dennoch gegeben. Ein perfekter Sitz der gebleichten und gestärkten Toga war nicht alleine, sondern mithilfe von mindestens vier Ankleider zu bewerkstelligen. Somit war wohl auch Senator eben nicht gleich Senator, wie man unschwer an Qualität und Tragweise erkennen konnte. War der Mann auch an Vorschriften gebunden, konnte er wenigstens über die Ausstattung seiner Frau protzen. Anders im Militär, da boten Paradeuniformen für die Offiziere durchaus eine gut Möglichkeit sich aufzuputzen, während der Legionär an die Grundausstattung gebunden war.

Die Bekleidung im Herzen des römischen Reichs und jener im antiken Griechenland sind nur ein Teil der enormen Vielfalt – unabhängig vom modischen Wandel durch die Zeit -, die zur Verfügung stand. Textile Luxusgüter wurden importiert, während die römischen Sitten wiederum Einfluss auf die sie umgebenden Kulturen ausübten. Im Grunde ist es das „Jeansprinzip“, denn nicht jeder Jeansträger ist ein Amerikaner oder Goldgräber nur weil die Einflüsse übernommen wurden.

Kleidung: Luxus, Privileg, Besitz

Kleidung war Luxus. Nicht jeder konnte/durfte sich zum Notwendigsten auch Materialien aus Seide, Kamelhaar, aufwändige Webmuster und speziell eingefärbte Stoffe leisten. Besondere Produkte waren es tatsächlich „wert“, sie gesetzlich zu regeln, sie zu vererben, zu pfänden und bis zum letzten verschlissenen Teilchen immer wieder zu flicken und so lange anderweitig zu verwenden, bis sie nur noch als ein winziges Putzfetzchen auf den Müll landeten. Kleidung in der antiken Welt war wie besonders hochpreisige Luxusware: wertbeständig bzw. eine halbe Ewigkeit weiterverwertbar. Kein Wunder, dass sich entsprechende Kreise die Privilegien sicherten. Mit bestimmten Rohmaterialien – wie z. B. Seide, Purpur, Goldgewebe – war viel Geld zu machen. Beschränkte Zugänge hielten zugleich den Markt stabil und sorgten dafür, dass soziale Unterschiede deutlich sichtbar blieben. Eine einträgliche Praxis, die das römische Reich lange Zeit überlebte. Ebenfalls kein Wunder, dass Textilgeschenke, als Gewebe und Kleidung noch edel, haltbar und keine qualitätslose Fließbandware waren, sehr beliebt waren.

Interdisziplinäre Forschung

Zwischen Hausware und professioneller Erzeugung, Alltagsware und Luxusgut zu unterscheiden, wird Wissenschaftlern nicht leicht gemacht. Genauso schwierig ist es, Herkunft der Rohmaterialien, die Verabeitung und die damit verbundenen Techniken, Netzwerke, Transportwere zu erschließen. Einige der zentrale Fragen von Textilforschern sind: Wer trug was, wann, wie, warum, was „kostete“ es. Daraus folgende Fragen betreffen nicht nur soziale Aspekte (Mann, Frau, Kind, Alte und Junge, Arme und Reiche), sondern auch solche zur Wirtschaftsgeschichte, politische und religiöse Strukturen.

Die Quellen sind nicht so zahlreich, wie sie scheinen, dafür aber umso vielfältiger und bruchstückhafter. Zu den raren Textilfunden, die nicht nur aus Gräbern stammen, sondern u. a. auch aus dem Salzbergwerk von Hallstatt, gesellen sich schriftliche Überlieferungen, Bilder, Skulpturen, die mit allen zur Verfügung stehenden Methoden untersucht und ausgewertet werden.

Fazit

Ein Pflichtbuch für an Archäologie und Textilien Interessierte. Der hochwertige Band besticht durch seinen systematischen Aufbau, der durch das attraktive Layout und eine Fülle hervorragender – auch publikumsgerechter – Abbildungen unterstützt wird. Der benutzerfreundliche Anhang bietet Glossar der Fachbegriffe aus Kleidungs- und  Textilwissenschaft sowie eine umfangreiche Publikationsliste. Der moderate Preis ist das Zuckerl, dass diesen wissenschaftlichen Leckerbissen zusätzlich versüßt.