Scherben bringen Glück

Amanda Adams
Scherben bringen Glück: Pionierinnen der Archäologie
Gerstenberg Verlag 2013
ISBN 978-3-8369-2674-4

Frauen in der Archäologie: Pochen an der Pforte des Herrenklubs

Die Autorin Amanda Adams weiß, wovon sie schreibt: Auch heute braucht man als Frau in der Archäologie einen klaren Kurs, um in einem solchen Herrenclub sicher zu manövrieren […]. Zunächst absolvierte die Autorin Anthropologie und Archäologie an den Universitäten Kalifornien, Berkeley, und British Columbia, Vancouver. Die Erfahrungen, die sie dabei gemacht hat, kamen ihr beim Blick auf die Forschungsgeschichte – insbesondere auf die Karrieren weiblicher Kolleginnen – zugute. Zugleich folgt sie selbst einer Karriere, die typisch für die Archäologinnen ist: Sie ist Sachbuchautorin sowie selbstständige Ausstellungsarchitektektin, Kommunikationskuratorin und Kulturvermittlerin.

Begeistert und ausgebremst

Sieben Frauen, Töchter des victorianischen Zeitgeistes, stellt die Autorin in diesem Band näher vor. In der Zeit zwischen 1831 und 1968 entwickelte sich die Archäologie vom Hobby Reisender und Sammler zur Wissenschaft. Aus den Raubgräbern wurden Systematiker, deren Ziel es war, zu forschen, zu dokumentieren und zuletzt auch zu bewahren.

Amelia Edwards (1831-1892)

eröffnet den Reigen. Sie kam als Schreibende und Reisende zur Archäologie. Mit der „eigenhändigen“ Freilegung eines „Grabes“ – Archäologie bestand damals im Wesentlichen aus Ausschaufeln lassen, architektonischen Skizzen sowie dem Abtransport attraktiver und wertvoller Funde – war ihr ägyptologischer Jagdeifer geweckt. Ihr Engagement führt zur Gründung des Egypt Exploration Fund (Egypt Exploration Society). Ungeachtet ihrer wissenschaftlichen Kenntnisse war sie das, was man heute eine geniale PR-Frau und Redakteurin bezeichnen würde – damals wie heute ein nicht notwendigerweise dankbarer oder gar gut bezahlter Job. Ihr Engagement verhinderte es, ihrem Broterwerb als Schriftstellerin nachzugehen. Nicht verwunderlich, dass sie an Sir Flinders Petrie, dessen Karriere auch durch ihre Berichte in Schwung kam, schrieb: Meine Zeit ist […] für die Wissenschaft nicht so wertvoll wie Ihre […]. Doch auf dem Markt hat eine Zeit einen deutlich höheren Wert. […] Arbeit, die Ihnen […] Ruhm einbringt – und mir Armut und Vergessenheit. Nein, das traf niemals ein, vergessen wurde die Grand Dame des Nils nicht.

Jane Dieulafoy (1851-1916)

Die Schriftstellerin, Archäologin und Fotografin, gab sich als Mann und hat sich daher auch als Mitarbeiter aber nicht als Mitarbeiterin bezeichnet. Sie war sich ihrer Aufwertung bis zur Gleichberechtigung an der Seite ihres Ehemannes also durchaus bewusst und betonte dies gezielt. Während Marcel sie an der öffentlichen Anerkennung teilhaben ließ ohne sie, wie damals durchaus üblich, einfach zu übergehen. Ein außergewöhnliches Paar, das nicht nur 1870 gemeinsam an die Front zog, sondern danach eine 46-jährige gleichberechtigte Partnerschaft verband. Die bequeme Männerkleidung legte Jane nach dem Krieg nicht mehr ab, obwohl sie dafür eine polizeiliche Erlaubnis benötigt. Das Löwenfries von Susa machte das exzentrische Paar mit einem Schlag berühmt. Ihr größere Verdienst war aber, einen riesigen Beitrag zur Anerkennung und Gleichberechtigung in der Wissenschaft geleistet zu haben.

Zelia Nuttall (1857-1933)

Mexikos Königin der Archäologie, hatte die Geschichte des Landes regelrecht verinnerlicht. Sie war vielfach gebildet und eine breitgefächert arbeitende Wissenschaftlerin, die die Basis für die modernen Forschung formte. Ein Interessengebiet wird der weltgewandten Frau zum Lebensmittelpunkt: Mexiko. Ihr Leben war abwechslungsreich und führte durch die halbe Welt. Eine zeitlang lebte sie auch in Dresden. Obwohl wissenschaftlich anerkannt, blieben ihr harte Kämpfe nicht erspart. Im privaten Bereich focht sie nicht nur ihre Ehescheidung durch, sondern es gelang ihr auch, das alleinige Sorgerecht für die Tochter zu erstreiten. Da verwundert es nicht, dass es ihr sogar gelang, ihren Mädchennamen wieder für sich und die Tochter anzunehmen. Sie war defintiv kein unterwürfiges Weibchen, sondern eine selbstbewusste und Frau, die wusste, wo sie im Recht war und dies auch nachdrücklich einforderte. Mit durchaus üblichen männlichen Methoden, verteidigte sie auch ihre wissenschaftliche Reputation und öffentliche Anerkennung – obwohl man das einer Frau als Nervensägerei auslegte. Verdrängen ließ sie sich jedenfalls nicht, genausowenig ließ sie sich um ihre archäologischen Verdienste berauben. Leopoldo Bates, der sich ihre Entdeckungen an die Brust heften wollte, handelte sich für diesen Versuch seine totale Vernichtung ein. Solche männlichen Rangkämpfe in der Wissenschaft finden selten ihren Weg an die Öffentlichkeit, aber mit einer Frau als Kontrahentin ist es bis heute eine öffentlich verfolgte Besonderheit.

Gertrude Bell (1868-1926)

war eine schillernde Persönlichkeit mit dunklen Flecken. Sie lässt sich jedenfalls nicht auf die Archäologie „reduzieren“, auch wenn sie die Gründerin des Irakischen Nationalmuseums und dort als Direktorin für Altertümer und Chefkuratorin bestellt war. Die Intellektuelle, war als Dame der Gesellschaft bei diplomatischen und politischen Ereignissen nicht nur zugegen, sondern sie war daran aktiv beteiligt. Völlig konträr zu ihren persönlichen Leistungen und öffentlichen Auftreten jenseits der damaligen weiblichen Norm, war sie dennoch gegen das Frauenwahlrecht. Tatsächlich verweigerte sie anderen Frauen das, was sie sich aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung herausnahm: meinungsbildendes Auftreten und politische Beteiligung. Vielleicht hätte sie anders gehandelt, wenn sie von ihrem Vater keine Zuwendungen für ein unabhängiges Leben erhalten oder sich gegen ihre Familie für die Ehe entschieden hätte. Ohne das väterliche Geld wären ihre ausgedehnten Reisen, deren Routen und Gegenden sie kartierte, jedenfalls nicht möglich gewesen. Ihr Leben war bis zuletzt eine einzige Expedition, die sie mit einer Überdosis selbst beendete.

Harriet Boyd Hawes (1871-1945)

stammte aus den USA. Ihre Robustheithrer verdankte die körperlich kleine Frau wohl ihrer Kindheit. Sie war unter vier Brüdern aufgewachsen und hatte einem alleinerziehenden Vater. An der Liebe zur Archäologie schließlich war Amelia Edwards Schuld, deren Vortrag Ägypten sie besuchte. Harriet studierte an der American School of Classical Studies in Athen. Dass der dortige Direkter mit allen Mitten Frauen behinderte, war nicht ungewöhnlich. Die Grabungslizenzen für Athen und Umgebung waren alle in männlichen Händen. So tat sie, was alle Frauen in so einer Situation tun: Sie wich aus und erschloss sich ihr eigenes Forschungsareal. Ihre Forschungen in Gournia auf Kreta erweisen sich bald als sensationelle Entdeckung. Letztlich sichert wieder eine Frau die Unterstützung für Forschung: Die Sekretärin – Mrs Stevenson, des Archaeological Institut of American wirbt die erforderlichen Mittel ein. Politisch geschickt betont sie, dass es zu allererst einer Frau aus Amerika gelang, die geschäfliche und wissenschaftliche Leitung einer Ausgrabung zu übernehmen. Wesentlich berühmter machte sie aber die sorgsame Dokumentation aller Funde sowie deren unverzügliche Publikation. Dass sie durch ihre Entscheidung für Ehe und Familie ausgebremst wurde, ist ein anderes Kapitel ihrer Biografie.

Agatha Christie (1890-1976)

ist weltberühmt als Autorin von Kriminalromanen. Dass sie eine große Leidenschaft für Archäologie entwickelte, wissen hingegen nur wenige. Als sie im Alter von rund 40 Jahren mit dem Orientexpress losfuhr, begann sie nach ihrer Scheidung einen neuen Lebensabschnitt. Sie besuchte Ur. Dort begegnete sie Max Mallowan, der Assitent auf der Ausgrabung war. So lernten sich die beiden Menschen kennen, die von 1928 bis 1958 gemeinsam im Nahen Osten arbeiteten. Aber nicht ihre erfolgreiche Zusammenarbeit steht immer wieder Mittelpunkt des Interesses, sondern der sie trennende 14-jährige Altersunterschied. Agatha, die erfolgreiche Autorin, fand über ihren Mann zur Archäologie. An seiner Seite übernahm sie organisatorische Aufgaben und putzte, restauriert oder fotografierte auf der Ausgrabung. Obwohl sie keine ausgebildete Archäologin war, erwarb sie umfassende Kenntnisse des Fachs. Ihre Mitarbeit war hilfreich, aber wesentlich wichtiger war es, dass sie durch ihre Romane auch dazu beitrug, die Archäologie als Detektivarbeit zu verstehen.

Dorothy Garrod (1893-1968)

gehörte der neuen Archäologengeneration an, die Informationen sammelten und präzise auswerteten. Auch ihr Weg war von Schikanen gesäumt, denen sich männlichen Kollegen nicht stellen mussten. Sie studierte zunächst Anthropologie und wurde mit dem berühmten Paläolithforscher Abbé Henri Breuil bekannt. Er  wurde ihr Lehrer und Mentor wurde. Die detailversessene Methodikerin machte das Paläolithikum zu ihrem Forschungsinteresse. Angeregt von Breuil begann sie mit einer Bestandaufnahme von Artefakten und Informationen, die in allerlei Museen verstreut aufbeahrt wurden. Ihre Publikation „The Upper Palaeolithic in Britain“ ist bis heute ein Meilenstein der Steinzeit-Forschung. Ihr Funde eines Neandertalerkindes auf Gibraltar brachte den Durchbruch. Dabei verstand sie es über den Tellerand zu blicken und neue Verfahren aus anderen Wissenschaften für ihre Forschungszwecke einzusetzen. Kein Wunder, dass sie die erste Professorin in Cambridge wurde. Einer ihrer größten Verdienste ein wenig abseits der Forschung war ihre offene Förderung von Frauen in der Wissenschaft, so diese eine bessere Kompetenz als ihre Mitwerber aufwiesen. Ihre Pioniertat, die Tore der Archäologie für Frauen weit zu öffnen, ist ihr mindestens so hoch anzurechnen wie ihre enormen wissenschaftlichen Leistungen.

Fazit

Gemeinsam ist den Pionierinnen der Archäologie dieses Buches, dass sie allesamt zumindest aus sog. bildungsbürgerlichen Umfeld, wenn nicht gar der gut betuchten Oberschicht stammten. Wenn es sogar diesen Frauen verwehrt blieb oder zumindest schwer gemacht wurde, ihre Lebensziele zu verfolgen bzw. zu erreichen, wird klar, dass es unmöglich für Frauen aus schlechteren Verhältnissen war. Die archäologischen Wissenschaften gehören heute zu den Studien mit sehr hohem Frauenanteil. Das bedeutet aber nicht, dass weibliche Karrieren leichter geworden wären.

Amanda Adams erzählt locker und fundiert von historischen Frauenkarrieren im Fach, verliert aber nicht den realen Blick auf die Gegenwart. Ein Sachbuch, das sich fesselnd wie ein Roman liest. Wer zwischen den Zeilen zu lesen vermag, wird mit wesentlich mehr als nur Biografien von Archäologinnen belohnt.