Tradition des Substandards

Garçonnière & Bassena

Es war nicht üblich, in jeder Wiener Wohnung fließendes Wasser zu haben – außer es regnete durch ein Loch im Dach. Manchmal frage ich mich, ob sich das seit damals geändert hat. „Damals“ ist jetzt knapp 30 Jahre her – zumindest das Loch im Dach. Das Klo am Gang habe ich bei der letzten Besichtigung einer Garçonnière dieses Jahr auch noch gezeigt bekommen. Eine Garçonnière ist übrigens die begehbare Version eines Schuhkartons. In der Stiefelkartongröße werden Garçonnièren mit einer semitransparenten Duschkabine inklusive Klaustrophie-Garantie angeboten.

Kommen wir auf das fließende Wasser zurück. Sogar am Ende des 20. Jahrhunderts mussten Bewohner mancher Häuser in Wien das Wasser noch in die Wohnung tragen. Ich wette, dass einige Leute es noch immer tun müssen. Für dieses historische Privileg werden ihnen zurzeit für 30 m² bis zu 1.200 € abgesaugt. Aber ich schweife schon wieder ab.

Also dieser gemeinsame Wasserhahn am Gang wird Bassena genannt. Sie ist ein typisches Element alter Häuser, wenn die Bassena nicht als Sammlerstück abmontiert wurde. Die Bassena ist ein zentraler Bestandteil von lustigen und satirischen Geschichten über Leute, die sich um die Bassena zum Tratsch versammeln. Eigentlich ist die Bassena nach dem öffentlichen Brunnen die Erstversion von Twitter und Facebook. Und der Shitstorm über Schuhschachteln, Miethaie und Garçonnière-WGs (i.e. Massenquartier) in Wien sollte nicht nur auf das Klo am Gang beschränkt bleiben!