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© 2003 Strohschneider-LaueNon-Fiction

Buch

Manfred Flügge

Heinrich Schliemanns Weg nach Troja. Die Geschichte eines Mythomanen

Schmliemanns Weg (26639 Byte)

dtv, München 2003. 298 S.

EUR (A) 10,30; CHF 17,60 EUR (D) 10,00

ISBN 3-423-34025-8

 

 

 

Rezension

Mythen entstehen nicht von selbst, sie werden geschickt erfunden. PR ist älter als die Fähigkeit Pyramiden zu errichten oder Potemkinsche Dörfer. Sie ist uns allen mehr oder minder in die Gene gelegt. Das Motto „Wie mache ich mich für den (Geschäfts)Partner attraktiv“ ist immerhin der Treibstoff der Evolution. Schliemann beherrschte das Spiel um die eigene PR genial. Überlegen Sie selbst, welches Schliemannporträt beim Publikum des 19. Jahrhunderts besser punkten würde:

  • Der armer Pfarrersohn Schliemann träumt auf Grund seiner humanistischen Erziehung im Elternhaus bereits als Kind davon Troja zu entdecken. Mit stetem Fleiß und Lerneifer arbeitet er sich gegen die Widrigkeiten des Schicksals wie Odysseus auf dieses eine Ziel zu. Sprachtalent und unternehmerischer Pioniergeist verschaffen ihm nahezu weltweit Erfolg. Seine russische Ehe zerbricht zu seinem Leidwesen durch die Gattin. Nach etlichen Jahren geht er eine zweite Ehe mit einer Griechin ein. Er wird zum Weltenbürger, Wohltäter und endlich aus eigener Kraft zum bahnbrechenden Forscher.

  • Aufgewachsen ist Schliemann in zerrütteten Familienverhältnissen. Sein Vater war Trinker, Spieler und gewalttätiger Ehebrecher. Er kommt nach dem frühen Tod der Mutter bei einer verwandten Pflegefamilie unter. Die Spielschulden seines Vaters verhindern seinen Schulabschluss. Zunächst arbeitet er daher als Ladengehilfe. Er wird Auslandsvertreter seines Arbeitsgebers in Russland. Dort verschafft er sich selbst günstige Handelskonditionen und gründet ein Konkurrenzunternehmen im Indigohandel. In Amerika wird er nebenbei vom Goldhändler zum Goldrauschgewinnler. Seine gescheiterte russische Ehe wird nach amerikanischen Recht geschieden. Er ist Deutscher durch Geburt, wird aus Handelsgründen Russe und schließlich aus rechtlichen Vorteilen Amerikaner. Mit seiner zweiten Frau, deren Vater er sein könnte, führt er eine ebenfalls schwierige Ehe. Er zieht sich schließlich aus dem Handel zurück und investiert in Schatzgräberei. Er stiehlt die bei Ausgrabungen gefunden Schätze Trojas und schmuggelt sie aus dem Land. Diese Schätze machen ihn in Verbindung mit zahlreichen Vorträgen, Publikationen und Erbversprechen weltberühmt.

Das Buch nimmt dem Leser nicht das Denken ab, es erweitert den Blickwinkel. Es ist zeigt, dass niemand gut erzählte Mythen beseitigen kann. So behaupten Archäologen gerne und nicht völlig zu unrecht, dass nicht die Griechen, sondern Schliemann Troja zerstört habe. Der Schatzgräber Schliemann wurde seither von hervorragende Forschern in Troja abgelöst. Fantastische Entdeckungen, Vorträge, Publikationen und Ausstellungen reißen noch immer nicht ab, aber wirklich gute PR folgt anderen Gesetzen. Auch nach dieser Lektüre wird jeder sagen: Schliemann war der Entdecker Trojas, egal was und wie viel er gestohlen, geschmuggelt, zerstört hat.

Manfred Flügge ist es hervorragend gelungen den in seiner Autobiographie und weiteren schriftlichen Hinterlassenschaft widersprüchlichen Schliemann bei der Wurzel zu packen. An Hand der umfangreichen und vor allem aktuelleren Forschung, gelingt es dem Autor kritisch aber nicht unfreundlich Schliemanns faszinierendes Leben nachzuzeichnen. Fundiert, spannend und unterhaltsam zugleich entrollt sich beim Lesen ein ganzes Leben, das durch eine Überfülle an Schriftquellen fast schon wieder unübersichtlich wird. Es ist nicht die erste Biographie, aber sicher die am wenigsten bewusst oder unbewusst "frisierte".

© S. Strohschneider-Laue

 

 

 

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