Ebensolch Rez-E-zine

 12/04

 
 

© 2003 Strohschneider-LaueNon-Fiction

Buch

Jean-Claude Gautrand

Brassaï

Brassai

Taschen 2004, Engl./Dt./Fr., 192 S. zahlreiche sw. Abb.

€ 14,99

ISBN 3 8228 3137 9

Rezension

Schemenhaft erhebt sich die Brücke aus dem nächtlichen Nebel. Auf der ruhigen Wasserfläche spiegelt sich das weiche Licht der Laternen in senkrechten Streifen, die den Blick des Betrachters in die ungewisse Tiefe ziehen. Im Vordergrund reckt sich der kahle Ast eines Baumes wie ein Scherenschnitt in den Himmel. Es ist, als könne man die feuchte Luft auf der Haut spüren.

Wie über 50 Jahre zuvor James Abbott McNeill Whistler, ist auch Brassaï ein Meister der Nacht. Doch malt er nicht mit dem Pinsel sondern mit der Kamera. Sein Blick ist scharf, nicht beschönigend - doch selektiv. Brassaïs Bildkompositionen sind streng, strukturiert, führen das Auge des Betrachters auf das Wesentliche.

Die in seinem ersten Buch Paris de Nuit gesammelten Nachtaufnahmen der Pariser Stadtlandschaft machten Brassaï bekannt. Sie waren die erste Stufe auf der steilen Karriere des Multitalentes Gyula Halasz, wie Brassaï mit bürgerlichem Namen hieß. Am 9. September 1899 im transsilvanischen Brasso (damals Ungarn) geboren, ging er in Budapest zur Schule und diente 1917/18 in der österreichisch-ungarischen Armee. Seine künstlerische Ausbildung erhielt er zuerst an der Kunstakademie in Budapest, ab 1921 an der Akademischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg. Im Jänner 1924 reiste er nach Paris - der Stadt, der er sein Leben lang treu blieb. Hier erwies er sich als genialer Netzwerker. Wohnhaft im Hôtel des Terrasses, freundete er sich mit dem ebenfalls hier abgestiegenem Henry Miller an. Voller Elan stürzte er sich ins (Nacht)leben des Malerviertels Montparnasse. Durch Freunde und Auftraggeber lernte er in kurzer Zeit alle kennen, die Rang und Namen in der Kunstwelt hatten: Andrè Breton, Paul Eluard, Tristan Tzara, Picasso, Matisse, Dalí, Léger, Pévert und viele andere.

Bei seinen nächtlichen Wanderungen dokumentierte er mit der Kamera die Unterschicht von Paris. Brassaïs Auge ist dabei analytisch. Die für das, im Taschen Verlag erschienene, Buch "Brassaï" ausgewählten Bilder wirken weder aufdringlich noch moralisierend oder nach Effekten haschend. Fotografien wie "Weiblicher Clochard am Quai des Tuileries", "Der Lumpensammler" oder "Schlafende Gemüsefrau in Les Halles" halten einen Moment fest, ohne die menschliche Würde der Dargestellten zu verletzen. In vielen Fotos kann Brassaï seine Ausbildung als Maler nicht verleugnen. So erinnern z. B. "Die Lastträger von Les Halles" und "Der Negus" an niederländische Gruppenportraits bzw. Genreszenen.

1932 begann Brassaï Kritzeleien und Graffiti an Pariser Mauern zu fotografieren. Mit wissenschaftlicher Akribie notierte er sich ihre Standorte, um ihre Veränderungen über einen Zeitraum von 20 Jahren zu beobachten. Inspiriert durch ihre Unmittelbarkeit fing er an, die belichteten Glasnegative seiner Fotos mit einer Nadel zu attackieren. Das Ergebnis waren zu Musikinstrumenten umgearbeitete Frauenakte, die Transmutations.

Seine rund 25-jährige Zusammenarbeit mit der Zeitschrift "Harper's Bazaar", die 1937 begann, ermöglichte es Brassaï zahlreiche Maler, Schriftsteller und Komponisten zu portraitieren. Als Reisereporter reiste er für das Magazin rund um die Welt.

Neben dieser intensiven fotografischen Tätigkeit schrieb Brassaï Bücher und schuf Skulpturen, Zeichnungen, Bühnenbilder und sogar einen Film. Ab den 50er-Jahren mehrten sich die Ausstellungen. Brassaï starb als international anerkannter Künstler am 7. Juli 1984.

So vielfältig wie sein fotografisches Werk, ist auch das im Taschen Verlag erschienene Buch über den Künstler. Es folgt mit seiner klaren Kapitelgliederung den Leitthemen, die Brassaï während seiner langen Karriere beschäftigten. Der Bogen spannt sich dabei von "Paris bei Nacht" über die Künstlerportraits bis zu den Graffitis und "Transmutations". Damit bietet das Buch einen ausgezeichneten Überblick über sein Schaffen, das abseits des künstlerischen Anspruchs ein Stück Stadt- und Sozialgeschichte von Paris festhält. Ein aufschlussreicher Einleitungstext sowie eine übersichtliche Biographie und ein Ausstellungsverzeichnis runden das auch in seiner Gestaltung überaus ansprechende Buch ab.

© Ch. Ranseder

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