Ebensolch Rez-E-zine

 17/05

 
 

© 2003 Strohschneider-LaueNon-Fiction

Buch

Anette Strittmatter

Paris wird eine einzige große Wunderlampe sein. Das Leben der Künstlerin Therese aus dem Winckel 1779-1867

Therese aus dem Winckel

Lukas 2004, 316 S., 9 sw Abb.

€ 30,00

ISBN 3 936872 10 4

Rezension

Mit gemischten Gefühlen sieht die vielseitig begabte Therese aus dem Winckel ihrem Aufenthalt in Paris entgegen. Voll der Hoffnung hier bessere Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten zu finden als in ihrer Heimatstadt Dresden, ist sie bereit ihren Lebensmittelpunkt in ein anderes Land zu verlegen. Malen und musizieren möchte Therese. Das Zeug dazu hat sie: Talent, Bildung, Ehrgeiz und Durchhaltevermögen - alles da.

Eine Geschichte des 21. Jahrhunderts? Keineswegs! Man schreibt das Jahr 1806, als sich die 26-jährige Therese gemeinsam mit ihrer Mutter in die französische Hauptstadt aufmacht. Die Wahl war auf Paris gefallen, weil Therese hier nicht nur ihre Kenntnisse der Malerei, sondern auch ihr Harfenspiel perfektionieren konnte. Praktische Überlegungen bestimmten also die Entscheidung, denn Thereses innigster Wunsch wäre ein Aufenthalt in Rom gewesen.

Die Pariser Jahre werden eine Schlüsselstellung in der Entwicklung der Künstlerin einnehmen. Durch den plötzlichen Verlust des Familienvermögens ihrer Existenzgrundlage beraubt, muss sie - zu einer Zeit als berufstätige Frauen die Ausnahme und nicht die Regel sind - Strategien entwickeln, die es ihr ermöglichen ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Für Therese aus dem Winckel bedeutet dies die Entscheidung zwischen einer Laufbahn als frei schaffender Malerin oder als Kopistin. Letztendlich wählt sie den Kopistenberuf, der auch im Einklang mit der herrschenden Rolle der Frau als Bewahrerin, die angeblich des schöpferischen Aktes nicht mächtig sei, stand. Anfangs zuversichtlich, versucht sie Interessenten für ein Kopienprojekt zu gewinnen - doch vergeblich. Ihre Heimreise muss sie sich durch Konzerte finanzieren. Anfangs 1809 ist sie zurück in Dresden. Im Lauf ihres Lebens wird Therese immer wieder eine feste Anstellung mit einem die Existenz sichernden Fixeinkommen anstreben. Es wird ihr niemals gelingen. Von ökonomischen Zwängen getrieben, passt sie ihre Erwartungen an das Leben den Umständen an. Eine Zeit lang kann sie mit ihrer Arbeit als Kopistin genug Geld verdienen. Als die Nachfrage zurückgeht, gibt sie Harfenunterricht und nimmt als Privatlehrerin Schülerinnen in ihr kleines Haus auf. So ganz nebenbei arbeitet sie auch noch als Journalistin, pflegt ihre Mutter und veranstaltet für ihren Freundeskreis "Dichtertees". Arm, ledig und in den gesellschaftlichen Kreisen der Heimatstadt als Sonderling abgestempelt, führt sie ein streng geregeltes, arbeitsames Leben. Der ihre 1860 verfasste Autobiographie begleitende Brief ist ein erschütterndes Zeugnis weiblicher Existenzängste. Die zu diesem Zeitpunkt 80-jährige Therese aus dem Winkel begründet die Vermeidung von Jahreszahlen in ihrer Lebensgeschichte mit der Befürchtung, dass Eltern, die ihr wahres Alter erführen, ihre Kinder nicht mehr zum Unterricht schicken würden und sie somit ihr Einkommen verloren hätte.

Therese aus dem Winckel gelang es nicht, ihre bescheidenen Träume zu verwirklichen. Sie scheiterte, wie viele Frauen vor und nach ihr. Nicht weil es ihr an Fähigkeiten mangelte, sondern weil ihr als Frau sowohl der Zugang zu der als Karrieresprungbrett dienenden akademischen Ausbildung und der damit einhergehenden Förderung als auch die berufliche Anerkennung verwehrt blieb. Mit der frauenfeindlichen Realität konfrontiert, zog sie die Konsequenzen. Sie machte sich klein, übte sich in Bescheidenheit, pflegte innere Werte und bekannte sich zu den vorherrschenden Vorstellungen von Weiblichkeit. Letzteres mag überraschen. Doch als allein stehende Frau, die gezwungen war ihr Leben durch die Ausübung eines Berufes zu finanzieren, konnte sie es sich wohl kaum leisten gegen die herrschenden sozialen Normen aufzubegehren. Zu groß wäre die Gefahr gewesen Käufer ihrer Bilder und andere Einnahmenquellen, wie jene als Privatlehrerin für Mädchen, zu verlieren. Wieder einmal blieb es einer Frau verwehrt ihr Potential zu erforschen und auszuleben.

Anette Strittmatter begleitet in ihrem Buch Therese aus dem Winckel von den formativen Kindheitsjahren in Dresden bis zum Lebensabend in derselben Stadt. Als Quellen dienen ihr neben der kurzen Autobiographie, Briefe und Zeitungsartikel von und über Therese aus dem Winckel. In zahlreichen langen Originalzitaten lässt sie die Künstlerin und Personen aus ihrem Bekanntenkreis selbst zu Wort kommen. Obwohl Therese ein bescheidenes Leben führte, vermag ihre Geschichte dennoch zu fesseln. Nicht zuletzt, weil aus der zeitlichen Distanz weibliche Überlebensstategien sichtbar werden, die Frauen auch heute noch vertraut sind. Angesichts der derzeitigen Trends am Arbeitsmarkt, der wachsenden Zahl "neuer Selbstständiger" und der noch immer geringen Verdienstmöglichkeiten im Kulturbetrieb ist der Lebens- und Karriereweg der Therese aus dem Winckel von erschreckender Aktualität.

© Ch. Ranseder

© 2003 Strohschneider-Laue Essenz

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