Ebensolch Rez-E-zine17/05 |
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Non-Fiction Buch Christina Leitner Papiertextilien
Haupt Verlag 2005, 191 S, zahlreiche Farbbabb. € 39,90, CHF 66,00 ISBN 3 258 06767 8 |
Rezension Papier ist ein vielseitiges, wunderbares Material, das aus dem Alltag kaum wegzudenken ist. Aber Textilien aus Papier? Als ich den Titel von Christina Leitners Buch sah, war ich zuerst einmal verblÜfft. Wie kann aus Papier ein Faden hergestellt werden? Wer ist auf die Idee gekommen ausgerechnet aus diesem Material Stoff herzustellen? Ist Stoff aus Papier nicht steif? Wie haltbar ist ein Kleidungsstück aus Papier? Diese und noch viele andere Fragen schossen mir durch den Kopf. Glücklicherweise ist Christina Leitners Buch "Papiertextilien" eine wahre Fundgrube an Wissenswertem über das Thema. Christina Leitner beginnt ihre umfassende Darstellung mit der Geschichte, den Ausgangsmaterialien und dem Herstellungsprozess von Papier, das eine chinesische Erfindung ist. Zu höchster Vollkommenheit brachten die Technik des Schöpfens und die anschließende Behandlung des Papiers aber die Japaner. Sie fertigten bereits vor über 1000 Jahren Kleidung aus Papier an. Hemden aus imprägniertem, auf spezielle Art geknittertem Papier dienten ursprünglich den armen Bauern als schützende Hülle. Erst im 17. Jahrhundert entdeckten die Adeligen Papierkleider für sich, die daraufhin immer luxuriöser wurden. Noch wesentlich aufwändiger ist jedoch die Herstellung von Shifu. Es handelt sich dabei um einen Stoff, für den Japanpapierbögen zu einem Endlosstreifen zerschnitten, dieser zu einem Garn verdreht und anschließend verwebt wird. Noch heute werden in Japan die kostbaren Shifu-Gewebe, die zeitweilig sogar Seide den Rang abliefen, von einigen wenigen Weberinnen und Webern hergestellt. Das Verhältnis der Europäer und Amerikaner zu Papiertextilien war ein gänzlich anderes. Das aus Holzfasern hergestellte westliche Papier ist steif und auch die Papiergarne sind härter und eigenwilliger als ihre japanischen Gegenstücke. Im 19. Jahrhundert wurde, bedingt durch einen Rohstoffmangel, begonnen Accessoires und Wäsche aus Papier herzustellen. Später kamen während der beiden Weltkriege Oberbekleidung, Uniformen, Möbelstoffe und andere Heimtextilien dazu. Bei der Bevölkerung stießen die Papiertextilien, nicht zuletzt wegen ihrer schlechten Qualität jedoch auf Ablehnung und verschwanden in den Nachkriegsjahren vom Markt. Erst in den letzten Jahren entdecken westliche Textilgestalter wieder Papier als Werkstoff, diesmal nicht der Not gehorchend sondern aus Leidenschaft. Bücher wie "Papiertextilien" tragen dazu bei, das Wissen um traditionelle Techniken vor dem Vergessen zu bewahren und möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. In diesem Bewusstsein lässt die Autorin dem absolut faszinierenden kulturhistorischen Teil des Buches einen nicht minder spannenden Überblick über die Auswahl des richtigen Papiers und die einzelnen Herstellungsschritte des in Handarbeit erzeugten Shifu-Garns sowie der Materialqualitäten von industriell hergestelltem, im Handel erhältlichen Papiergarnen folgen. Praktiker werden sich über das Kapitel "Gestalten mit Papiergarnen" freuen, denn hier werden mögliche Verarbeitungstechniken vorgestellt und Anleitungen für eigene Arbeiten gegeben. Die zahlreichen Abbildungen fertiger Werkstücke zeigen die ganze Bandbreite der kreativen Verarbeitungsmöglichkeiten von Papiergarnen und sind eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Als Abschluss des Buches erzählt Christine Leitner in zwölf Portraits vom großen Engagement internationaler Künstlerinnen und Künstlern und deren sehr persönlicher Zugangsweisen zum Material Papier. "Papiertextilien" ist ein gefällig gestaltetes Buch, dessen leicht lesbarer Text vom umfangreichen Fachwissen der Autorin zeugt, die Textiles Gestalten an der Universität Mozarteum in Salzburg studiert hat. Sie ist Theoretikerin und Praktikerin zugleich und schafft es mühelos ihr großes Wissen zu vermitteln, Begeisterung zu wecken und Lust zu eigenen Experimenten mit Papiergarnen zu machen. Das Buch "Papiertextilien" wird somit Liebhaber von Papier und an der Kulturgeschichte von Textilien Interessierte ebenso erfreuen wie jene Leserinnen und Leser, die gerne handwerklich tätig sind. © Ch. Ranseder |
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