Ebensolch Rez-E-zine

 19/05

 
 

© 2003 Strohschneider-LaueNon-Fiction

Buch

Angelika Taschen (Hg.)

Schönheitschirurgie

Schönheitschirurgie

Taschen 2005, 440 S., zahlr. Abb.

39,99

ISBN 3 8228 1743 0

Rezension

Sie ist vielgestaltig, liegt im Auge des Betrachters und daher keine allgemein gültige messbare, sondern zeitgeistige, Größe: Die Schönheit. Gleichgültig welcher Teufel sich unter der Oberfläche verbirgt oder ob die Intelligenz zum Einsatz kommt, Hauptsache ist, schön zu sein. Egal ob im Frontoffice oder Telefondienst im Hinterzimmer, das richtige Gesicht und die perfekte Figur zählen. Dem Erlangen und Erhalt der schönen Oberfläche, die mehr ist als nur der halbe Erfolg ist, wird daher viel Aufmerksamkeit und damit sowohl Zeit als auch Geld gewidmet. Von dieser Tatsache können zwielichtige Politiker, dubiose Geschäftemacher, alternde Models, abgehalfterte Schauspieler, und inzwischen auch alle anderen Arbeitssuchende, Menschen beiderlei Geschlechts, jeglichen Alters oder Herkunft ganze Opern singen. Kein Wunder, dass das Geschäft der Schönheitschirurgie boomt und die manipulierte Oberfläche für erhitzte Diskussionen sorgt.

Was bedeutet denn eigentlich Schönheit? Dieser Frage spürt der gewaltige Band inhaltlich gewichtig, mit einem enormen Bilderreigen und vielen Statements nach. Das Buch der Superlative ist der Schönheit würdig. Ästhetische layoutiert - auf der Umschlaginnenseite kann man sich ganz passend spiegeln - werden in elf Kapiteln von Angelika Taschen, Sander L. Gilman, Jürgen Müller Eva Karcher, Richard Rushfield und Nannette Bühl alle Facetten der Schönheit ausgeleuchtet. Zum spannenden Einstieg gehört neben dem brillanten Vorwort von Angelika Taschen auch ein bildreicher Blick auf die Darstellung von Schönheit in der Kunst. Die fette Venus Willendorf hat sie nämlich genauso wie der normalgewichtige David Michelangelos oder die überschlanke Marlene Dietrich. Die durch Krankheit und Krieg Entstellten haben sie - zumindest offiziell - nicht mehr. Und nur jene - sollte man zu nächst meinen - benötigen medizinische Hilfe, um die volle oder annähernde Funktionsfähigkeit ihres Körpers wieder zu erlangen oder ihre soziale Stellung zu festigen.

Richtig spannend wird es daher im detaillierten und hervorragend recherchierten Part zur erstaunlichen Geschichte der (Schönheits-)Chriurgie. Von den antiken Hochkulturen bis in die Gegenwart spannt sich der weltweite Bogen. Zahn- und Nasenkorrekturen oder Fettabsaugungen sind keine Erfindungen der Moderne,  antiseptische Maßnahmen und Anästhesie dagegen schon.  Entfernen von Bauchspeck, Aufpeppen von Hängewangen, Augenlidstraffungen und sogar schon  Geschlechtsumwandlungen folgen ab der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Brustvergrößerungen spielen ab den 1950ern eine zunehmende Rolle. Nicht zu unterschätzen sind die ethnischen Gründe sich einer chirurgischen Veränderung zu unterziehen. Stupsnasen und Fledermausohren waren für Amerikaner zu irisch. Mit einem entsprechenden Eingriff wurden gemäß der zeitgenössischen Rassenkunde quasi aus Kelten Angelsachsen. Das Verschmälern und Verkleinern von afrikanischen und semitischen Nasen, Heben asiatischer Augenlieder oder Hautaufhellungen, sind weitere Beispiele für diese chirurgischen Anpassungen.

Kein Wunder, dass die Schönheitschirurgie, die aus so unterschiedlicher Motivation angewandt wird, ausreichend Stoff für Spielfilme  - und nicht nur für das Horrorgenre - liefert.

Schönheitschirurgen im Interview und deren pointierte Statements gestatten einen aufschlussreichen Blick auf Methoden, Business und Persönliches der Architekten unter den Medizinern. Sie arbeiten nach besten Wissen und Können im Dienste derjenigen, die es nötig haben und jenen die sich diversen Zwängen unterwerfen.

"Eine goldene Nase verdienen" ist tatsächlich ein passender Begriff für die Schönheitschirurgie, wenn es auch heute auf die Ärzte und nicht auf die Patienten zutrifft. Denn damit war ursprünglich jenes menschliche Versuchkaninchen gemeint, das die goldene Nasenbrücke behalten durfte, welche ihm versuchsweise - und daher vorübergehend - am Beginn des 19. Jahrhunderts an Stelle der eigentlichen Patientin in die Syphilisnase implantiert wurde.

Ein humoriger Ausblick, der unterhaltsam zum Nachdenken anregt und ein umfassender Anhang schließen den gewaltigen Band.

Taschen hat sich wieder selbst übertroffen. Dem körperlichen Erscheinungsbild und deren Manipulation wird in diesem Buch mit chirurgischer Präzision nachgegangen. Ungemein fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite, auch wenn man keinen Eingriff in Erwägung zieht. Das Buch sollte lange, lange vor dem Chirurgengutschein für die Brustvergrößerung (etc.) auf dem Gabentisch liegen.

© S. Strohschneider-Laue 12.10.2005

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