Ebensolch Rez-E-zine24/06 |
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Non-Fiction Buch Gudrun Schreiber Faszination Shal. Persische Woll- und Kaschmirstoffe im Vergleich. Ein Beitrag zur Kultur- und Technikgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts
Wasmuth 2005, 96 S., 76 Farb- und SW-Abb. € 39,90 ISBN 3 8030 3310 1 |
Rezension Was wäre die Forschung ohne glückliche Zufälle! "Faszination Shal" verdankt seine Existenz Gudrun Schreibers Suche nach einer textilen Dekoration für ihr Arbeitszimmer. Diese führte sie in das Orientteppichgeschäft von Parviz Rasta, der spontan seine Sammlung historischer Woll- und Kaschmirstoffe vor ihr ausbreitete. Mit der Untersuchung zahlreicher persischer Fabrikate aus dieser Sammlung legte Gudrun Schreiber den Grundstein für "Faszination Shal". Dennoch steht nicht die Beschreibung von Einzelstücken im Mittelpunkt des Buches. "Faszination Shal" ist kein protziger Bildband sondern eine spannende Kultur- und Technikgeschichte der persischen Woll- und Kaschmirstoffe. Vom 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts wurden in Persien kostbare Wollstoffe hergestellt. Der persische Begriff "Shal" ist weiter gefasst als die europäische Bezeichnung "Schal". Klein gemusterte Shal-Stoffe wurden zu Kleidung verarbeitet. Großformatige Shals mit abgepassten Mustern trug man als Tuch oder Schärpe. Selbst Innenräume wurden mit Shal-Fabrikaten geschmückt. Im 19. Jahrhundert genossen die Woll- und Kaschmirstoffe sogar größere Wertschätzung als Seidenstoffe. Abnehmer fanden sie in erster Linie auf dem heimischen Markt, denn Textilien spielten in der persischen Gesellschaft eine wichtige Rolle. Die begehrten, wertbeständigen Shal-Fabrikate dienten nicht nur als textiles Geschenk, sondern auch als mobile Vermögensanlage und Bestechungsmittel. In krassem Kontrast zu Schönheit und Prestige der Shal-Stoffe standen die erbärmlichen Produktionsbedingungen in den Shal-Webereien. Die von der Autorin ausgewählten Fotos und Augenzeugenberichte offenbaren das Elend der Arbeiter: Die Webstühle standen in dunklen Räumen ohne Ventilation; Arbeitszeiten von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang und Kinderarbeit waren an der Tagesordnung. Im technikgeschichtlichen Teil ihres Buches verfolgt Gudrun Schreiber die Herstellung der Shal-Fabrikate vom Rohstoff Wolle, über dessen Aufbereitung durch Waschen, Bleichen und Färben bis zu seiner Verarbeitung am Webstuhl. Besondere Aufmerksamkeit schenkt sie dem Vergleich der persischen Produkte mit Erzeugnissen aus Indien und Europa. Im Zuge einer detaillierten Analyse gelingt es ihr, die jeweiligen Charakteristika der persischen und indischen Arbeiten zu ermitteln. Zahlreiche technische Zeichnungen und Nahaufnahmen der Textilien illustrieren die Unterschiede der Web- und Wirktechniken. Der Vergleich zeigt, dass sich die persischen Wollstoffe auch durch ihre Ornamentik von den indischen und europäischen Kaschmir-Schals absetzen lassen. Gudrun Schreiber hat mit "Faszination Shal" wertvolle Grundlagenforschung für die Zuweisung von Woll- und Kaschmirstoffen nach den Provenienzen Indien und Persien geleistet. Sie füllt damit eine Forschungslücke, denn persische Schals wurden in der Literatur bisher wenig beachtet. "Faszination Shal" ist ein übersichtlich gegliedertes und gefällig gestaltetes Buch. Gudrun Schreibers Text ist ein kleines Wunder: Er besitzt die für ein Fachpublikum notwendige wissenschaftliche Tiefe ohne seine Lesbarkeit für den Laien zu verlieren. © Ch. Ranseder 10.05.2006 |
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