Ebensolch Rez-E-zine

 24/06

© 2003 Strohschneider-LaueNon-Fiction

Buch

Gabriele M. Knoll

Kulturgeschichte des Reisens. Von der Pilgerfahrt zum Badeurlaub

Kulturgeschichte Reisen

Primus 2006, 160 S., 122 meist farbige Abb.

€ 29,90

ISBN 3 89678 548 6

Rezension

Der Tourismus ist zu einer der wandelbarsten Stützen der Wirtschaft geworden. Der Erfindungsreichtum von Marketingmanagern, Großinvestoren und Branchengurus ist grenzenlos. Hauptsache es lässt sich als Package verkaufen. Vom gigantischen Hotelkomplex mit dem Charme einer Plattenbausiedlung bis zum exklusiven Wellnesstempel, vom Themen-Park bis zum Club-Dorf, vom geilen Mega-Event bis zur generalstabsmäßig durchgeplanten Kulturreise - egal um welches Preissegment es sich handelt-, die Pauschalierung schreitet munter voran. Schwer haben es angesichts dessen Individualisten die keine Lust haben, sich der Völkerwanderung an südliche Strände anzuschließen, den Urlaub gemeinschaftlich in einer Gruppe zu erleben, Monate im Voraus zu buchen oder sich sonst wie verplanen zu lassen. Ist der Geldbeutel des Mainstream-Abtrünnigen auch noch klein, dann wird selbst eine Reise innerhalb Europas so abenteuerlich wie eine mittelalterliche Pilgerfahrt.

Schon im Mittelalter ließen sich die Menschen von den Beschwerlichkeiten einer Reise nicht abschrecken. Schließlich war man nicht auf der Suche nach Erholung. Gabriele Knoll zeigt in ihrer flott geschriebenen "Kulturgeschichte des Reisens", dass die Motive sich auf den Weg zu machen vielfältig waren. Bettlern, Handwerkern auf der Suche nach Arbeit sowie dem fahrenden Volk der Gaukler und Musikanten blieb gar nichts anderes übrig als mobil zu sein. Die Kaufleute witterten hohe Gewinne mit den Luxusgütern des Fernhandels und begannen ein Netz von Handelsbeziehungen und -routen aufzubauen. Gläubige begaben sich Seite an Seite mit bezahlten "Berufspilgern" und zu dieser Reise verurteilten Verbrechern auf die Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela. Wer Heilung oder geselliges Vergnügen suchte, machte sich zu einem der ersten Badeorte auf. Wohin auch immer die Reise ging, der Zustand der Straßen war die meiste Zeit beklagenswert schlecht. Wer Unterkunft suchte, konnte sein Glück in den oft verrufenen Gasthäusern auf die Probe stellen oder war auf christliche Nächstenliebe angewiesen.

Mit der Zeit und der anwachsenden Zahl der Reisenden verbesserte sich die Infrastruktur. Das 17. und 18. Jahrhundert brachte neue Reiseziele und -motive. Die "Grand Tour" und der Kuraufenthalt kamen in Mode. Junge Adelige und wohlhabende Bürgersöhne sollten auf der großen Reise nach Italien, der Grand Tour, ihr Allgemeinwissen aufbessern und den letzten Schliff erhalten. Sie waren oft jahrelang unterwegs. Im gesellschaftlichen Leben der Oberschicht nahmen die Kurorte einen besondere Stellung ein. Man kam um zu sehen und gesehen zu werden, Kontakte zu pflegen und seinem Körper etwas Gutes zu tun. Das Ambiente musste stilvoll sein, egal ob die Wahl auf eine Trink-, Bade- oder Luftkur fiel. Mit viel Liebe zum Detail erzählt Gabriele Knoll über Aufbau und Wandel der Kurorte, ihre erlauchten Gäste und den Zeitvertreib dieser illustren Gesellschaft. Obwohl sich im 19. Jahrhundert Kur- und Badeorte als gesellschaftliche Treffpunkte ungebrochener Beliebtheit erfreuten, entwickelten sich die Alpen und das Rheintal zu einer ernsthaften Konkurrenz. Sie befriedigten die Sehnsucht nach Romantik und waren dank einer neuen technischen Errungenschaft, der Eisenbahn, leichter zu erreichen als jemals zuvor. Während der Jet-Set die Freuden des Wintersports in den Bergen entdeckte, blieb der breiten Masse der Besuch eines Panoramas. Urlaub war noch immer ein Privileg der Wohlhabenden. Das sollte sich erst im Lauf des 20. Jahrhunderts ändern, als Arbeiter und Angestellte erstmals einen Anspruch auf bezahlten Urlaub hatten. Die Anfänge waren bescheiden, der große Aufschwung kam erst in den Wirtschaftswunderjahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Italien wurde zum beliebtesten Ferienziel. Nach dem Urlaub mit dem eigenen Auto wurde später die Reise mit dem Flugzeug zur Selbstverständlichkeit. Angebot, Nachfrage und  Werbung begannen sich einzuspielen.

Das reich bebilderte Buch "Kulturgeschichte des Reisens. Von der Pilgerfahrt zum Badeurlaub" ist eine vergnügliche Exkursion zu den Wurzeln des vielschichtigen Phänomens Tourismus. Im Mittelpunkt der Reise durch die Jahrhunderte stehen die Länder Deutschland, Österreich und die Schweiz, Abstecher führen die Leserin und den Leser nach Italien, Frankreich und England. Kenntnisreich und mit leichter Feder zeigt Gabriele Knoll, dass das Reiseverhalten der Menschen schon immer Trends folgte. Warum, wie und wohin gereist wird, ist immer ein Spiegel des gesellschaftlichen und technischen Entwicklungstandes einer Epoche.

© Ch. Ranseder 10.05.2006

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