Ebensolch Rez-E-zine25/06 |
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Fiction Buch Barbara Ehrenreich qualifiziert & arbeitslos. Eine Irrfahrt durch die Bewerbungswüste
Antje Kunstmann 2005, 256 S. € 19,90 ISBN 3 88897 436 6 |
Rezension Nichts ist verstörender als die Realität - wie dieser durch und durch realistische Blick auf Jobsuchende und den Arbeitsmarkt beweist. Unabhängig davon, dass hier in erster Linie vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten berichtet wird, sind die Parallelen zu der verarmenden Mittelschicht Europas gravierend. Die erschreckende Reportage. Eigentlich eine dieser "unerwünschten Reportagen", die allerdings nicht jene Bevölkerungskreise in den Mittelpunkt stellt, die bildungsarm und sozialschwach noch von Mindestlohnjobs leben oder ohnedies bereits erwerbs- und obdachlos sind. Thema dieser Betrachtung sind die Kinder aus dem so genannten Mittelstand, deren Traum vom "besseren Leben", Eigenständigkeit, Karriere trotz guter Ausbildung und Zusatzqualifikationen sich in einen Alptraum aus Schulden, Mindestlohnjobs und Arbeitslosigkeit gewandelt hat. Ein Vorgang, den wir auch in Europa mit steigenden Arbeitslosenzahlen nachvollziehen können. Die Zeiten wo gute Zeugnisse, Studium und Erfahrungen zur Karriere führten sind lange vorbei. Volontariate, Praktika - alle unter- bis unbezahlt versteht sich - und Saisonverträge mit Einsteigergehältern weiten sich zu Dauerzuständen aus. Genau diesen wunden Punkt untersuchte Barbara Ehrenreich im Selbstversuch. Zunächst legte sie ihre eigentliche Identität als Schriftstellerin und Kolumnistin mit naturwissenschaftlichem Studium (Chemie, Physik, Molekularbiologie) ab und legte sich eine ihren Kompetenzen entsprechende neue zu. Ihre ab diesem Zeitpunkt beginnende Odyssee zwischen Arbeitsmarktberatungen, Trainingsangeboten, Networking, Bewerbungen und keinen Vorstellungsgesprächen außer zwielichtige Angebote zweifelhafte Produkte, (für die man erst selbst kaufen muss) völlig selbständig (d. h. unabgesichert) im Sinne einer Tupperware-Party zu verhökern. Nach einem Jahr war Ehrenreich um etliche tausend Dollar ärmer (für Coaching, Vermittler, Recherche etc.) und reich an Erfahrungen. Sie schloss ihre letztlich erfolglose Jobsuche mit erhellenden und erschütternden Interviews von Betroffenen ab. Zum Jobmarkt ziehen immer mehr aus und lernen dort das Fürchten. Für diese ist das Buch eigentlich nicht geschrieben, diese können ihren eigenen Bericht vorlegen. Sie erleben diese Situation tagtäglich hautnah, schreiben sich die Finger wund, telefonieren sich arm und suchen die Schuld völlig ungerechtfertigt bei sich selbst. Viele fallen durch die zermürbende Suche, sinkendes Selbstbewusstsein, steigenden sozialen und finanziellen Druck auf zweifelhafte Vertreterjobs oder sinnlose Fortbildungen herein. "qualifiziert und arbeitslos" ist für jene Personen geschrieben, die noch die Vollbeschäftigung kannten, die noch Pensionen und Renten erhalten und auch für jene, die das Potential der Bewerber nicht erkennen, sondern nur nach bestimmten Kriterien, wie Alter und Geschlecht suchen. Ein Pflichtbuch das eine erschütternde Tatsache ungemein fesselnd vermittelt und das dort anknüpft wo Günther Wallraff aufhört. AkademikerInnen, die sich darin nicht finden, haben mehr als nur Glück gehabt. Das Buch wird man erst aus der Hand legen, wenn die letzte Seite gelesen ist. © S. Strohschneider-Laue 01.06.2006 |
Essenz Siteinfo Qualifiziert und arbeitslos. Eine Irrfahrt durch die Bewerbungswüste |