Ebensolch Rez-E-zine

 27+28/06

© 2003 Strohschneider-LaueNon-Fiction

Buch

Michael Hansel, Martin Wedl (Hg.)

Österreichisches Literaturarchiv. Die ersten 10 Jahre

Österreichisches Literaturarchiv

Praesens 2006, 148 S., Sw.-Abb., inkl. CD-ROM (mp3)

€ 19,50

ISBN 3 7069 0295 8

Rezension

Vor zehn Jahren (1996) wurde das Österreichische Literaturarchiv als eigenständige Sammlung in der Österreichischen Nationalbibliothek eingerichtet. Ein guter Anlass die erste Bilanz zu ziehen und mit einem Symposion (14. September 2006) sowie der vorliegenden Publikation zu feiern.

LiteratInnen sind kritische ChronistInnen gesellschaftlicher und politischer Befindlichkeiten. Sie sensibilisieren, polarisieren LeserInnen nachhaltig, wurden und werden als Nestbeschmutzer angeprangert, als Gewissen gelobt oder als Weltfremde abgetan. So vielfältig ihre Werke sind, so verschieden sind auch ihre Arbeitsweisen. Eines haben sie dennoch gemeinsam: Sie sind unbequem und selbst wenn sie schweigen, erreichen ihre Aussagen die Gesellschaft.

Trotz aller Veröffentlichungen nimmt die interessierte Öffentlichkeit vom literarischen Schaffen selbst - wie bei allen kreativen Prozessen - nur wenig wahr. Vieles bleibt unpubliziert, noch mehr Fragment. Die literarische Arbeitsweise ist keiner Norm unterworfen, sondern abhängig von der jeweiligen Persönlichkeit und den diversen Strömungen, die auf sie einwirken. Genau an dem Punkt der "unbekannten Literatur" setzt die Sammeltätigkeit des Literaturarchivs an.

Das Literaturarchiv bewahrt ansonsten literaturgeschichtlich Verlorenes, bringt Ordnung in literarisch-kreatives Chaos, schafft Strukturen in lebenslange Spontaneität. Diese archivarische Tätigkeit ist die Grundlage für weiterführende literaturwissenschaftliche Forschungen, die akribische Spurensuche in Leben und Werk der Österreichischen LiteratInnen.

So ist dieses Buch auch keine anekdotische Annäherung an die zur Zeit über 120 geschlossenen Bestände, sondern eine Bilanz der Aufgaben, erreichten und angestrebten Ziele sowie Normierungen der letzten zehn Jahre. Stetes Thema aller Archive, Bibliotheken, Museen ist nicht nur die Bestandserweiterung, sondern auch dessen Erhalt, zu dem auch der moderne K(r)ampf der sinnvollen Datensicherung  - u. a.  von Video- und Audiodateien - zählt. Sammeln, bewahren, ausstellen und aufarbeiten gehören auch im Literaturarchiv zum Tagwerk, deren Ergebnisse in der Buchreihe "Profile" und in Fachperiodikum "Sichtungen" veröffentlicht werden.

Neben der Leiterin der Österreichischen Nationalbibliothek Johanna Rachinger "Vorwort" und des Leiters des Österreichischen Literaturarchivs Wendelin Schmidt-Dengler "Der Sitz im Leben" tragen acht weitere AutorInnen zum Blick auf die vergangenen zehn Jahre bei.

Volker Kaukoreit zeigt in "Funktion einer Koordinierungsstelle" die nationalen und internationalen Kooperationen auf.

Klaus Kastberger widmet sich in "Edition und Interpretation" am Beispiel des Nachlasses Ödon von Horvaths der Möglichkeiten literaturwissenschaftlicher Forschung.

Der Ernst-Jandl-Nachlass ist nicht nur eine literarische, sondern auch eine reiche biographische Quelle. Bernhard Fetz beleuchtet Aspekte des Materials und dessen Übernahme ins Archiv in "Author's last choice".

Literaturgeschichtliche und -soziologische Forschung greift Michael Hansel in "Rohstoff für das (literarische) Leben" anhand der Beispiele Exil und Literatur nach 1945 auf.

Die Problematik audiovisueller Medien, die von Abspielbarkeit über Werkzugehörigkeit bis zu inhaltlichem Zeitspiegel reichen, thematisiert Martin Wedl in "Stimmgewaltig" mit Bezug auf die Ton- und Videomaterialien von Hilde Spiel, Ernst Jandl und Heimrad Bäcker. In "Stimmen aus dem Archiv" bietet Wedl Kurzinformationen zu den Audiodateien der beigefügten CD-ROM (mp3). Die CD vereint 70 - nach subjektiven Aspekten - gereihte Hörbeiträge von 18 Literaten und drei Literatinnen.

Die minutiösen Zusammenstellungen des Leistungskatalogs der letzten zehn Jahre, die von Instituts- und Personalchronologie über Projekte bis zu Publikationen reicht, wurden von Ingrid Schramm ("Am Puls der Literatur - eine Chronik"), Andrea Hipfinger und Werner Rotter (" Publikationen - eine Auswahl" sowie "Projekte - eine Dokumentation") beigesteuert.

Insgesamt wird ein knapper und interessanter Überblick über die ersten zehn Jahre des Österreichischen Literaturarchivs geboten. Der verschwindende Anteil an Vor- und Nachlässen von literarisch tätigen Frauen wird auf der CD-ROM schmerzlich spürbar, dafür wird großer Wert auf geschlechtsneutrale Formulierungen gelegt - selbst dort, wo nur von Männern die Rede ist.

Die Rechtschreibreform ist nach rund sieben Jahren Übergangsfrist seit August 2005 - zumindest für Schulen und Behörden - verbindlich, in dieser Publikation des Literaturarchivs, hat diese Reform  allerdings keine Spuren hinterlassen.

© S. Strohschneider-Laue 10. September 2006

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