Ebensolch Rez-E-zine

 29+30/06

© 2003 Strohschneider-LaueNon-Fiction

Buch

Andreas Cellarius,  Robert H. van Gent (Text)

Harmonia Macrocosmica of 1660. THE FINEST ATLAS OF THE HEAVENS

Cellarius Himmelsatlas

Taschen 2006, Dt./Engl./Fr., 240 S., zahlr. Farbabb.

€ 99,99

ISBN 3 8228 5290 2

Rezension

Lasst uns nach den Sternen greifen, der Himmel ist so nah! möchte man angesichts des Prachtbandes "The finest Atlas of the Heavens", der "Harmonia Macrocosmica" des Andreas Cellarius, jubeln. Die Himmelskarten des 1660 erstmals erschienenen Werkes sind an Schönheit und Detailreichtum kaum zu übertreffen. Es ist das Zusammenspiel von Astronomie und ornamentaler Verspieltheit, ihr dekorativer Wert der sie heute so unwiderstehlich macht. In den Ecken der Karten posieren Astronomen zwischen mathematischen, optischen und astronomischen Instrumenten, Putti sausen durch die Lüfte oder tragen Spruchbänder, Götter der Antike und mythologische Wesen geben sich die Ehre und spärlich bekleidete Frauen weisen auf Diagramme oder verkörpern Astrologie und Astronomie. Im Mittelpunkt der 29 Folio-Tafeln des spektakulären himmelskartographischen Werkes stehen die wichtigsten, damals bekannten Weltsysteme und die Konstellationen. Besondere Aufmerksamkeit erfährt das geozentrische Weltbild des Claudius Ptolemäus. Der um 150 n. Chr. in Alexandria lebende griechische Astronom vertrat die Ansicht, dass die unbewegte Erde im Mittelpunkt des Planetensystems stünde und sich die Himmelskörper auf Kreisbahnen um sie bewegten. Erst Nikolaus Kopernikus (1471-1543) revolutionierte die Astronomie mit seinem heliozentrischen Weltbild, in dem erstmals die Erde und die anderen Planeten mit Ausnahme des Mondes um die Sonne kreisten. Tycho Brahe (1546-1601) modifizierte das System von Kopernikus und ließ in seiner Weltsicht nicht nur den Mond, sondern auch die Sonne und mit ihr das Planetensystem um die Erde ziehen. Insgesamt fünf Tafeln widmet Andreas Cellarius den beiden Weltbildern von Kopernikus und Brahe. Weitere Tafeln beschäftigen sich mit den Positionskreisen der Himmels- und Erdsphäre, astrologischen Begriffen und den Mondphasen. Den Ruf, zu den außergewöhnlichsten Himmelsatlanten des 17. Jahrhunderts zu zählen, verdankt die "Harmonia Macrocosmica" den perspektivischen Ansichten des Sternenhimmels, die erstmals in der Geschichte der Himmelskartographie die Sternbilder auf einer die Erde umhüllenden durchsichtigen Himmelssphäre präsentieren. Vier der insgesamt acht den Sternbildern vorbehaltenen Tafeln sind auf diese innovative und atemberaubend schöne Weise gestaltet.

Die neben dem Tafel auch über einen Textteil verfügende "Harmonia Macrocosmica" war ursprünglich als zweibändiges Werk konzipiert, jedoch konnte nur der erste Band realisiert werden. Der geplante zweite Band kam wegen des Todes von Andreas Cellarius und seines Verlegers Johannes Janssonius nicht mehr zustande. Die Druckplatten der "Harmonia Macrocosmica" wechselten in den folgenden Jahrzehnten mehrmals den Besitzer. Die letzte, auf den Tafelteil reduzierte Ausgabe wurde 1708 gedruckt, einzelne Tafeln waren aber auch noch später erhältlich. Der Taschen Verlag übernimmt für "The finest Atlas of the Heavens" ebenfalls nur die Tafeln. Dass die Himmelskarten nicht nur ein optisches Erlebnis bleiben, sondern das auf ihnen visualisierte Wissen auch verstanden wird, ist den ausgezeichneten neuen Texten von Robert H. van Gent zu verdanken. Er führt in einem einleitenden Kapitel auf leicht verständliche Weise in die komplexe Geschichte der Himmelskartographie ein und erläutert in weiterer Folge jede der Tafeln in einem umfassenden Kommentar. Zwei abschließende Kapitel vermitteln kulturhistorisches Basiswissen zu den in der "Harmonia Macrocosmica" abgebildeten Sternbildern und erwähnten Sternennamen. Ein Glossar, eine Biographie des Andreas Cellarius sowie ein Literaturverzeichnis runden das traumhafte Buch ab.

"The finest Atlas of the Heavens" ist auf Grund der ausgewogenen Balance zwischen Sinnesfreude und Wissensvermittlung der buchgewordene Beweis, dass es möglich ist eine Augenweide mit kulturgeschichtlichem Mehrwert zu produzieren. Sein extremes Hochformat macht den edel gestalteten Himmelsatlas zu einem eleganten Buchobjekt. Aufgeschlagen misst das stattliche Buch rund 65 x 54 cm und lässt damit die wunderbaren, in Vollansicht und stark vergrößertem Detail abgebildeten Karten voll zur Geltung kommen. Leserinnen und Leser stellt es allerdings vor ein Haltungsproblem. Soll man den Prachtband am Esstisch deponieren und im Stehen genießen oder ihn besser auf den Boden legen und vor ihm knien, um eine optimale Aufsicht auf die Karten zu erhalten? Diese entspricht wiederum nicht dem idealen Lesewinkel für die herrlich informativen Texte. Als Ausweg aus diesem Dilemma wäre eigentlich die Verwendung eines Lesepultes dringend anzuraten, doch wer will so ein Ding schon in der Wohnung stehen haben? Zum Schluss daher noch ein Tipp für bequeme Menschen, die sich ganz dem Genuss dieses einzigartigen Buches hingeben möchten: Bauen Sie auf ihrem Sofa oder Bett einen leicht geneigten Kissenberg. Nehmen Sie im Schneidersitz vor ihm Platz. Lehnen Sie die "Harmonia Macrocosmica" in einem für Sie angenehmen Betrachtungswinkel an die Kissen. Entspannen Sie sich. Genießen Sie die Reise zu den Sternen.

© Ch. Ranseder 28. Oktober 2006

© 2003 Strohschneider-Laue Essenz

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