Ebensolch Rez-E-zine31+32/06 |
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Non-Fiction Buch Armin Strohmeyr Sophie von La Roche. Eine Biographie
Reclam 2006, 304 S., 21 Sw-Abb. € 19,90 ISBN 3 379 00835 4
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Rezension "Seit fünf und vierzig Jahren habe ich alle Briefe meiner gütigen Freunde an diesem Tische gelesen und beantwortet; alle Bücher welche mich belehrten, oder meine einsamen Stunden verschönerten, hielte er meinem Auge dar. (...) Ach, mein Schreibetisch hat sie alle mit mir durchlebt, diese Tage!" schreibt Sophie von La Roche in ihrem Buch "Mein Schreibetisch", das 1799 erschien. Sie ist zu diesem Zeitpunkt fast 70 Jahre alt. Ihr Schreibtisch erwies sich als ihr treuester Weggefährte, als die verlässlichste Konstante ihres bewegten Lebens. Sophie von La Roche (1730-1807) war eine der ersten Frauen, der es gelang sich als erfolgreiche Schriftstellerin im deutschen Literaturbetrieb zu etablieren. In seiner einfühlsamen Biographie begleitet Armin Strohmeyr Sophie von la Roches Entwicklung vom wissenshungrigen Mädchen zur Bestsellerautorin, die im Alter die Lust am Reisen entdeckte. Dabei stellt er Sophies Lebensweg in den zeit- und kulturgeschichtlichen Kontext. Mit großer Lebendigkeit schildert der Autor ihr soziales Umfeld und zeigt im Zuge dessen erfrischend viel Verständnis für die Probleme der Protagonistin seiner Biographie. Versuche Sophies Reaktionen, Entscheidungen und Motivationen zu deuten, erfolgen unter Berücksichtigung der damals gegenüber dem weiblichen Geschlecht herrschenden geistigen Einstellung. Von Männern in Abhängigkeit gehalten, war der Frauen zugebilligte Handlungsspielraum äußerst gering, ein selbstbestimmtes Leben für sie nahezu unmöglich. Sophie von La Roche lernte früh, sich mit - aus männlicher Willkür erwachsenden - Schicksalsschlägen zu arrangieren und ihre eigenen Bedürfnisse unterzuordnen. Sie leistete aus seelischer und finanzieller Not Bahnbrechendes, ohne dabei jemals die Rolle der Frau im gesellschaftlichen System in Frage zu stellen. Ihre Pflichten als Tochter, Ehefrau und Mutter hatte Sophie tief verinnerlicht. Stets fügte sich die streng protestantisch Erzogene - und resignierte. Es ist ein erschütterndes Zeugnis weiblicher Ohnmacht, wenn die 23-Jährige in einem Brief schreibt: "... ich habe Gelassenheit und still Leiden und Schweigen gelernt." Sophie von La Roche erträgt die seelische Grausamkeit des Vaters, nachdem dieser die Liebesheirat mit ihrem Lehrer Giovanni Lodovico Bianconi, einem Katholiken, aus religiösen Gründen untersagt hat, ebenso widerstandslos wie die Ausflüchte ihres späteren Verlobten Christoph Martin Wieland. Dieser fördert munter seine Karriere in Zürich, während die Situation der Daheimgebliebenen immer unhaltbarer wird. Für Sophie bedeutet die sich spontan ergebende Vernunftehe mit Georg Michael Frank La Roche, zu diesem Zeitpunkt Sekretär des Grafen Stadion, den einzigen Ausweg. Sie hat Glück. Ihr Mann schätzt sie und macht Karriere. Für die Bürgerliche bedeutet der Aufstieg in das höfische Umfeld eine Erweiterung des Horizontes. Sophie von La Roche bildet sich weiter, übt die hohe Kunst der Konversation, bringt acht Kinder zur Welt und schreibt. Ihr Mann ist viel unterwegs, sie ist einsam. Neben ihrer umfangreichen Korrespondenz beginnt Sophie von La Roche an einem Roman zu arbeiten. Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim erscheint 1771 und ist auf Anhieb ein großer Erfolg. Einen Briefroman aus der Korrespondenz mehrerer Charaktere zu weben beweist Originalität. Den Romanfiguren durch ihre Sprache Individualität und psychologische Tiefe zu verleihen ist revolutionär. Sophie von La Roches Erstlingswerk bereitet den Weg für Johann Wolfgang Goethes "Die Leiden des jungen Werther". Für seine Autorin bedeutet der Roman eine Wende. Für kurze Zeit tritt Sophie von La Roche ins Rampenlicht der Literaturszene, bevor ihr Ruhm neben Goethe und Schiller verblasst. Scheinbar mühelos bringt sie ihre Verpflichtungen als Ehefrau und Mutter mit ihrer Tätigkeit als Autorin unter einen Hut. Bis zu dem Tag an dem ihr Mann seine Stellung und damit den Großteil seiner Einkünfte verliert, läuft alles Bestens. Danach heißt es, sich zu bescheiden. Plötzlich muss Sophie von La Roche mit ihren Romanen und Erzählungen das Einkommen der Familie aufbessern. Abermals beschreitet die Schriftstellerin neue Wege und gründet "Pomona", die erste von einer Frau für Frauen herausgegebene deutsche Zeitschrift. Monat für Monat füllt Sophie von La Roche mit eiserner Disziplin 96 Seiten, kümmert sich um Druck und Vertrieb. Rund 700 Abonnenten aus Bürgertum und Adel werden beliefert. Nach zwei Jahren hat sie genug. Sie ist mittlerweile 54 Jahre alt und will endlich Reisen. Es versteht sich von selbst, dass aus ihrer Wanderschaft mehrere Reisebücher hervorgehen. Nach dem Tod von Georg Michael von La Roche 1788 verschärft sich die finanzielle Lage seiner Witwe abermals. Sophie von La Roche reagiert, indem sie ihre literarische Produktion steigert, zahlende Kostgänger in ihrem Haus aufnimmt und sich in Bescheidenheit übt. Allen Widrigkeiten zum Trotz versteht sie es bis zuletzt, ihren wachen Geist und ihre Aufgeschlossenheit mit sozialem Engagement und Verantwortungsbewusstsein in Einklang zu bringen. Unter welchen persönlichen Kosten, lässt sich heute nur mehr erahnen. Sophie von La Roche war eine bemerkenswerte Frau, die mit Benachteiligung, Doppelbelastung und Armutsgefährdung umzugehen lernte. Traurig ist, dass noch heute viele Frauen mit denselben Problemen kämpfen. Die Rahmenbedingungen haben sich verändert, wir sind unabhängiger geworden und haben bessere Bildungsmöglichkeiten. Die traditionellen gesellschaftlichen Mechanismen sind weniger offensichtlich als einst, doch noch lange nicht verschwunden. Die Frauen gesetzten Hürden und Grenzen haben sich nur verschoben. Umso wichtiger ist es, Sophie von La Roches Geschichte zu erzählen und ihre Leistungen der Öffentlichkeit aufs Neue bewusst zu machen. © Ch. Ranseder 25. November 2006 |
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Sophie von La Roche. Eine Biografie
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