Ebensolch Rez-E-zine

 31+32/06

© 2003 Strohschneider-LaueNon-Fiction

Buch

Alexander Pechmann

Mary Shelley Leben und Werk

Mary Shelley Leben und Werk

Artemis & Winkler 2006, 310 S., 17 Sw-Abb.

€ 24,90

ISBN 3 538 07239 6

 

Rezension

Mary Shelleys "Frankenstein" erwies sich als einer der einflussreichsten Romane des 19. Jahrhunderts. Die Geschichte des Monsters und seines Schöpfers ist durch unzählige Bearbeitungen des Themas für Bühne und Film ein Bestandteil unserer Populärkultur geworden. Die anhaltende Beliebtheit ihrer beiden berühmtesten Romanfiguren hätte Mary Shelley (1797-1851) vermutlich gefreut. Zu Lebzeiten konnte es die Schriftstellerin ihren Zeitgenossen nie Recht machen, sie blieb eine einsame Wanderin zwischen den gesellschaftlichen Milieus. Den Radikalen war sie nicht radikal genug. Den Bürgerlichen war sie zu wenig bürgerlich. Aus heutiger Sicht erscheint die Lebensgeschichte der unkonventionellen Intellektuellen, denn als solche kann die hoch gebildete Mary Shelley getrost bezeichnet werden, überraschend modern. Sie war eine Frau, die ihr Leben selbst in die Hand nahm. Angesichts der schweren Schicksalsschläge die ihr widerfuhren, kann ihrer inneren Stärke nur Bewunderung entgegengebracht werden.

Mary Shelley, die Tochter der Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft und des Sozialphilosophen William Godwin, lernte früh selbstständig zu denken und eigenverantwortlich zu handeln. Von Geburt an Halbwaise, wuchs Mary Shelley in einer Patchwork-Familie bestehend aus Vater, Stiefmutter, Halbschwester und Stiefgeschwistern auf. William Godwin, der seine Töchter selbst unterrichtete, empfing in seinem Londoner Haus Persönlichkeiten aus Politik, Kunst- und Kultur. Hier begegnete Mary erstmals dem Dichter Percy B. Shelley. Er sollte die große Liebe ihres Lebens werden. 1814 brannten Mary und ihre Stiefschwester Claire mit dem verheirateten Dichter durch. Von der abenteuerlichen Reise in die Schweiz zurückgekehrt, bezog das Trio eine Wohnung in London. Es folgten Jahre, die geprägt waren von finanziellen Sorgen, Wohnungswechseln, dem Selbstmord von Shelleys erster Frau und Marys Halbschwester, der Eheschließung von Mary und Shelley, Geburt und Tod mehrerer Kinder sowie zwei großen Reisen. 1816 ging es nochmals in die Schweiz, wo der ungewöhnliche Haushalt mit Lord Byron und seinem Begleiter zusammentraf. In jenem glücklichen Sommer regte Byron den Wettstreit an, eine Gespenstergeschichte zu verfassen. Die neunzehnjährige Mary schrieb "Frankenstein; or, The Modern Prometheus". Der Roman erschien als Buch im Jänner 1818 und war zunächst kein Erfolg. Im März desselben Jahres brachen die Shelleys zusammen mit Claire, den Kindern und einem Kindermädchen nach Italien auf. Der Tod überschattete die Jahre im sonnigen Süden. Marys erstes Kind war bereits 1815, wenige Tage nach der Geburt, in London verstorben. In Italien musste sie ihr zweites und drittes Kind begraben. Auch die Tochter von Claire und Lord Byron überlebte nicht. 1822 schlug das Schicksal abermals zu. Im Juni erlitt Mary eine Fehlgeburt, an der sie beinahe verblutete. Im Juli verunglückten Percy Shelley und ein Freund bei einem Bootsunfall. Im Alter von 25 Jahren war Mary Shelley Witwe. Wenige Jahre später gesellte sich auch Lord Byron zu ihrem "Volk der Gräber". Ist es verwunderlich, dass Mary Shelley in Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung versank, die sie nur ihrem Tagebuch anvertraute? Ihr innig geliebter Mann hatte keinerlei Vorkehrungen getroffen, um sie und ihren überlebenden Sohn finanziell abzusichern. Die allein erziehende Mutter musste sich fortan ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Nach London zurückgekehrt, etablierte sich Mary Shelley als freiberufliche Autorin. Heute würde man sagen, sie gründete aus Not eine Ich-AG. Die eigenen Lebenserfahrungen, ihre düstere Weltsicht spiegelt sich in ihren zahlreichen Romanen und Erzählungen. Darüber hinaus gab sie posthum die Gedichte ihres Mannes heraus und verfasste Kurzbiographien einflussreicher Literaten und Wissenschaftler. Ihre auf einer Reise durch Deutschland und Italien gewonnenen Eindrücke verarbeitete sie in einem Reisebuch. Finanziell hielt sich Mary Shelley über Wasser. Für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Form des Besuchs von Veranstaltungen, Opern- und Theateraufführungen fehlten der Schriftstellerin die Mittel. Ihr Bekanntenkreis, den sie als bescheidene Gastgeberin einladen konnte, war klein. "Armut ist die Grenze, die man nicht überwinden kann" vertraute sie dem Tagebuch an. Mary Shelley blieb nach dem Tod ihres Mannes für den Rest ihres Lebens auf der Suche nach Freundschaft und Liebe. Nicht selten begegnete sie stattdessen Ablehnung und Ausgrenzung. Erst in den letzten Lebensjahren verbesserte eine Erbschaft die finanzielle und gesellschaftliche Situation der Schriftstellerin. 1851 starb Mary Shelley im Alter von 54 Jahren an einem Gehirntumor.

Alexander Pechmann verbindet in seiner Biographie die Lebensgeschichte von Mary Shelley mit einer ausführlichen Analyse ihres literarischen Werkes. Gemächlich nähert er sich auf dem biographischen Erzählstrang der Persönlichkeit Mary Shelleys. Nach den Kurzbiographien ihrer Eltern, schenkt er in den ersten Kapiteln den Männern um Mary viel Aufmerksamkeit. Zuweilen scheint es, als würde Mary Shelley hinter der erdrückenden Präsenz der legendenumwobenen Gestalten Percy Shelley und Lord Byron verschwinden. Erst nach deren Tod rückt sie selbst in den Mittelpunkt der Betrachtungen, verdichtet sich durch ihre schriftstellerische Tätigkeit auch das Quellenmaterial. Der literaturkritische Erzählstrang kann aus dem Vollen schöpfen. Mary Shelleys Werk ist umfangreich und komplex. Ihre Romanfiguren sehen sich mit einer Welt konfrontiert, in der es keine Hoffnung gibt und Ideale zum Scheitern verurteilte Illusionen sind. Es sind einsame Menschen, die alles verloren haben. Erst in ihren letzten Werken ersinnt die Schriftstellerin versöhnlichere Enden. Alexander Pechmann spürt dem Charakter Mary Shelleys in ihren Romanen, die sich jeder Einordnung entziehen, nach. Er versucht mögliche Einflüsse, darunter jene der Arbeiten ihrer Eltern und ihres Mannes, offen zu legen und setzt Mary Shelleys Romane in Verhältnis zu den marktbeherrschenden Schauer-, Mode- und historischen Romanen. "Mary Shelley. Leben und Werk" ist ein vielschichtiges, flüssig geschriebenes Buch, das die bekannte Autorin und ihr literarisches Vermächtnis endlich auch dem deutschsprachigen Publikum näher bringt.

© Ch. Ranseder 25. November 2006

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