Ebensolch Rez-E-zine31+32/06 |
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Non-Fiction Buch Irmela Körner (Hg.) Mary Wortley Montagu. Briefe aus dem Orient. Frauenleben im 18. Jahrhundert (Edition Frauenfahrten)
Promedia 2006, 256 S., 19 Sw-Abb. € 21,90 ISBN 3 85371 259 2 |
Rezension "Es bereitet mir ein besonderes Vergnügen, hier an Ort und Stelle Reisebeschreibungen nach der Levante zu lesen, die meistens so weit entfernt von der Wahrheit und so voll Unsinn sind, dass ich mich dabei weidlich amüsiere. Niemals versäumen es die Verfasser, sich über die Frauen zu äußern, die sie niemals gesehen haben, und sehr weise über den Charakter der Männer zu sprechen, in deren Gesellschaft sie nie aufgenommen wurden." schreibt die Engländerin Mary Wortley Montagu (1689-1762) nicht ohne Spott am 17. Juni 1717 an Lady Rich. Als Frau des britischen Botschafters in Konstantinopel hatte sie reichlich Gelegenheit ihre eigenen Beobachtungen mit den publizierten Impressionen der männlichen Reiseschriftsteller zu vergleichen und auf Widersprüchlichkeiten hinzuweisen. Nach der Berufung Edward Wortley Montagus war es für die reiselustige Mary klar, dass sie ihren Mann begleiten würde - zur damaligen Zeit keine Selbstverständlichkeit. Am 1. August 1716 brachen sie, ihr Mann, ihr dreijähriger Sohn und 20 Bedienstete in London auf. Die Montagus hatten den beschwerlichen und wegen des Türkenkrieges, der 1714 durch den türkischen Angriff auf den Peloponnes wieder entflammt war und erst am 21. 7. 1718 mit dem Frieden von Passarowitz sein Ende finden sollte, gefährlicheren Landweg gewählt. Im April 1717 trafen sie wohlbehalten in Adrianopel (heute Edirne) ein, im Mai 1717 ging es weiter nach Konstantinopel. Hier blieben sie nur etwas über ein Jahr. Bereits am 6. Juni 1718 traten die Montagus die Rückreise an, diesmal am Seeweg. Fern der Heimat sind im 18. Jahrhundert Briefe das einzige Kommunikationsmittel, um mit Familienmitgliedern, Freunden und Bekannten in Kontakt zu bleiben, eigene Eindrücke, Ansichten und Gedanken zu verbreiten. Mary Wortley Montagu erweist sich als begnadete Briefschreiberin, die einfühlsam auf die Interessen ihrer jeweiligen Briefpartner eingeht. Ihre Berichte von der langen Reise und dem Aufenthalt im Osmanischen Reich sind geistreich, ihr Stil ist unübertroffen locker und amüsant. Im Plauderton erzählt Lady Montagu humorvoll von ihren Erlebnissen, den landesüblichen Sitten, Begegnungen mit Einheimischen, Sehenswürdigkeiten und Landschaften. Standesdünkel sind ihr fremd. Um sich frei bewegen zu können und "... um der Neugier zu frönen, die meine große Leidenschaft ist", wie sie selbst in einem Brief schreibt, zögert sie nicht den türkischen Schleier zu tragen. Als Diplomatengattin erhält sie Zugang zu türkischen Harems und anderen Orten, die Männern verwehrt blieben. Vorurteilsfrei und im vollen Bewusstsein der Exklusivität ihrer Erfahrungen verewigt sie die Besuche in ihren Briefen. Manchmal sitzt ihr dabei der Schalk im Nacken. Ihre offenherzige Beschreibung eines türkischen Frauenbades wird lange Zeit als skandalös empfunden: "Die vordere Sofareihe, auf welcher die Damen saßen, war mit Polstern und köstlichen Teppichen bedeckt; hinter ihnen hatten ihre Sklavinnen Platz genommen. In der Kleidung gab es allerdings keinen Rangunterschied, denn alle waren im Naturzustand, das heißt, offen gesprochen, splitternackt. Keine Vollkommenheit, kein Fehler blieb verhüllt." (Brief aus Adrianopel an Lady Rich, 1. April 1717) Mary Wortley Montagu beweist stets Sinn für Ironie. Besuche von Kirchen und stolz präsentierte Reliquien reizen ihren kritischen Geist ganz besonders. Ob es sich um archäologische Kleinfunde, den Zustand der Straßen, der Neigung der Wienerinnen sich Liebhaber zuzulegen oder das bizarre Aussehen von Kamelen handelt - nichts entgeht ihr. Die scharfe Beobachtungsgabe und sprachliche Ausdrucksfähigkeit ihrer Autorin verleihen den "Briefen aus dem Orient" eine literarische Qualität, die dazu führt, dass schon bald Abschriften kursieren. Als Diplomatengattin und Freundin des Dichters Alexander Pope kennt Mary Wortley Montagu die Macht von Worten. Die "Briefe aus dem Orient" können auch als Bemühen gelesen werden, dem in ihrer Zeit als barbarisch verschrienen Osmanischen Reich ein positiveres Bild entgegenzustellen. Der Orient war dabei en vogue zu werden. In Lady Montagus Todesjahr, 1762, wird die Briefsammlung erstmals in Buchform veröffentlicht. Noch heute zählen die Orientbriefe, als einzige Reisebeschreibung einer Frau, zur Weltliteratur. Wie aber erging es Lady Montagu nach ihrer Rückkehr nach London? Irmela Körner, die Herausgeberin des Buches "Mary Wortley Montagu. Briefe aus dem Orient", erzählt in einer den Briefen vorangestellten Kurzbiographie über das Leben der außergewöhnlichen Korrespondentin. Exkurse über den Orient und die Geschichte des Osmanischen Reiches, ein Verzeichnis der Adressatinnen und Adressaten der Briefe und weiterführende Literaturempfehlungen runden den vergnüglichen Band ab. © Ch. Ranseder 09. Dezember 2006 |
Essenz Siteinfo
Briefe aus dem Orient. Frauenleben im 18. Jahrhundert
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