Ebensolch Rez-E-zine37+38/07 |
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Non-Fiction Buch Hans Fricke Die Jagd nach dem Quastenflosser - der Fisch, der aus der Urzeit kam
Beck 2007, 302 S., 54 Fotos, Karte. € 19,90* ISBN 978 3 406 55635 7
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Rezension Stellen Sie sich vor, sie würden heute irgendwo auf der Welt auf einen lebenden Dinosaurier treffen. Ähnliche Gefühle der Überraschung und der Ehrfurcht ergreift Forscher, die in den letzten Jahren im Meer lebende Quastenflosser beobachtet haben. Was ist eigentlich so besonders an einem Fisch, der sein eher unauffälliges und gemächliches Leben in den mittleren Tiefen des Indischen Ozeans fristet? Die Quastenflosser gehören mit den Lungenfischen zur Unterklasse der Fleischflosser, die man heute als Stammformen der Lurche und damit indirekt als Vorfahren von Säugetier und Mensch ansieht. Die Quastenflosser erlebten ihre Blütezeit ab dem mittleren Devon vor rund 400 Mio. Jahren bis in die Mitte der Kreidezeit. Mit dem Ende der Kreidezeit vor rund 65 Mio. Jahren, als auch die Zeit der Dinosaurier abgelaufen war, galt dieser urtümliche Fisch als ausgestorben, bis 1938 diese Forschungsmeinung durch Marjorie Latimer, Leiterin des Städtischen Meeresmuseums im südafrikanischen East London, widerlegt wurde. In einem Fischfang von der Ostküste Südafrikas fand sie einen eigenartigen Fisch mit Beinstummeln und einer Quaste an der Schwanzflosse, der von dem Zoologen J. L. B. Smith als Quastenflosser klassifiziert wurde. Dieses "lebende Fossil" oder besser dieser "Durchläufer", existiert seit langem weitgehend unverändert und ist somit der wahre Gewinner der Evolution, schließlich handelt es sich bei ihm um eines der am besten angepassten Lebewesen. Der Quastenflosser, zu Ehren seiner Entdeckerin auch Latimeria genannt, lebt heute mit zwei bekannten Arten an der Ostküste Afrikas beziehungsweise zwischen Borneo und Celebes in Südostasien. Die Suche nach weiteren Quastenflossern - mit Hilfe von Steckbriefen - war erst 1952 erfolgreich, als auf den Komoren ein zweiter Fisch gefangen wurde und brandaktuell im Mai 2007 berichteten Medien erneut über einen Fang des asiatischen Quastenflossers. Ein typisches anatomisches Merkmal des Urzeitfisches ist das verknöcherte und mit Muskeln versehene Skelett der Brust und Bauchflossen, bei denen zwar Gelenke fehlen, die aber trotzdem Armen und Beinen von Landwirbeltieren entsprechen. Mit diesen beinartigen Flossen bewegen sich die Fische "im Kreuzgang gehend" meist ohne Bodenberührung durchs Meerwasser. So scheint der schlängelnde Gang von Amphibien und Reptilien schon bei seiner Vorgängergruppe vorhanden gewesen zu sein. Latimeria wird heute als nachtaktiver Raubfisch angesehen, der bis zu zwei Meter lang und 100 Kilogramm schwer werden kann. Er hält sich bevorzugt in kühleren Wassertiefen zwischen 100 und 700 Metern auf. Nachdem in einem erbeuteten Weibchen 26 ungeborene Jungfische gefunden wurden, gilt er als lebendgebärend. Die spannende Entdeckungs- und Forschungsgeschichte der Latimeria wird in dem vorliegenden Buch aus erster Hand erzählt. Der promovierte Zoologe Hans Fricke, dessen Doktorvater Konrad Lorenz war, ist zurzeit Honorarprofessor an der Universität München und leitete Forschungsprojekte am Max Plank Institut in Seewiesen. Der versierte Autor lässt seine Leserschaft anschaulich an seinem Werdegang als Meeresbiologe, Tierfilmer, U- Bootfahrer und neuerdings auch Polarforscher teilhaftig werden. Für seine über 30 Dokumentar und Fernsehfilme wurde er mit vielen internationalen Auszeichnungen geehrt, dass Meeresbiologie und Artenschutz auch in Buchform ungemein fesselnd ist, beweist sein populärwissenschaftliches Buch. "Der Fisch, der aus der Urzeit kam" schildert die aufregende Entdeckungsgeschichte der Latimeria und gewährt zugleich lebendig erzählte Einblicke in sein abenteuerliches Forscherleben. Von seinen ersten meeresbiologischen Gehversuche am Roten Meer, wo er anfangs noch weite Strecken mit dem Fahrrad unterwegs war, bis zur Unterwasserstation "Neritika" spannt er den Bogen. Fricke erkannte nach einigen erfolglosen Freitauchversuchen, angeregt durch Berichte von Fischern der Komoreninseln, dass Quastenflosser nur mit Hilfe von Tauchbooten beobachtet werden können. Die dafür nötige Organisations- und Geldbetteltour wird von ihm ebenfalls geschildert. Ist sie doch nach wie vor für Wissenschaftler – und Künstler – ein zermürbender Spießrutenlauf, der viel zu oft erfolglos endet. Durch Sponsorengelder war es dem Autor jedoch unter anderem möglich, mehrere Forschungsreisen, zwei Tauchboote (Geo und Jago) und mehrere Mutterschiffe zu finanzieren. Nach langer erfolgloser Suche war es am 17. Januar 1987 soweit: Der erste frei lebende Quastenflosser konnte gefilmt werden. Die Filme aus dem Indischen Ozean haben damals großes Interesse und Begeisterung ausgelöst. Museen und Meeresaquarien wollten plötzlich eine tote oder lebendige Latimeria besitzen, koste es was es wolle. Fricke war daraufhin einer der Ersten, die sich für einen weltweiten Schutz des Quastenflossers einsetzte. Und ganz ehrlich, die anschaulich bebilderte und spannend erzählte "Jagd nach dem Quastenflosser" ist jeder "musealen Fischdose" vorzuziehen. Der Quastenflosser hat die Dinosaurier überlebt und wir sollten ihn nicht auf den "Dodo-Weg" schicken. © R. Strohschneider 24. Mai 2007 |
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Die Jagd nach dem Quastenflosser
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*Angabe ohne Gewähr |
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