Ebensolch Rez-E-zine

 13/04

 
 

© 2003 Strohschneider-LaueNon-Fiction

Buch

Patricia Brattig (Hg.)

femme fashion 1780-2004

Arnoldsche 2003, Dt., Engl., 160 S. zahlreiche farbige Abb.

€ 19,80

ISBN 3 89790 215 X

Rezension

Kleidung ist eine nonverbale Kommunikationsform. Der tägliche (Miss-)Griff in den Kleiderschrank gibt bewusste oder unbewusste Hinweise auf die Person, ebenso wie Verkleidungen gezielte Fehlinformationen liefern sollen. Bekleidung gibt u. a. Auskünfte über finanzielle und persönliche Befindlichkeiten, gesellschaftliche und politische Stellung. Sie ist Ausdruck von Einordnung oder Protest und wird dadurch mehr oder minder zur persönlichen Uniform. Modeschöpfungen für Frauen zwischen 1780 und 2004 einer genaueren Betrachtung zu unterziehen, ist daher eine umfassende Aufgabe, die in dieser Publikation ebenso elegant wie kurzweilig erfolgt.

Die hauchdünnen Chemisenkleider bieten einen frivolen Einstieg in das Thema. Von den Konservativen der damaligen Zeit missgünstig beäugt, sorgten die "Nackt"kleider immer wieder für Gesprächsstoff innerhalb der unterbeschäftigten tratschsüchtigen High Society. Der aus der Mode gekommene Begriff "Musselingesellschaft" wird noch heute ab und an für schamlose Skandalcliquen gebraucht, während "Musselinkrankheit" für schwere Verkühlungen bis zur Lungenentzündungen steht. Luzie Bratner stellt in "Chemisenmode um 1800" anhand bekannter Bildquellen und historischer Fallbeispiele Schnitt und Tragweise dieser zarten Kreationen vor.

Die Herausgeberin der Publikation und Initiatorin der gleichnamigen Ausstellung Patricia Brattig ist Leiterin der Modesammlung am Museum für Angewandte Kunst in Köln. Sie unterzieht im folgenden Beitrag die Mode des Biedermeier in "Vom Elefantenohr zur Tischglocke" einer genaueren Betrachtung. Modejournale mit detaillierten Kupferstichen und Stoffmustern, Mechanisierung in der Weberei führten zu enormen Aufschwung und großem Variantenreichtum weiblicher Bekleidung. Während die Chemisenkleider zuweilen nur 250 Gramm auf die Waage brachten, schleppte 'frau' zu jener Zeit rund 10 Kilogramm mit sich herum - von dem nahezu unbeweglich machenden Korsett ganz zu schweigen. Wurde die weibliche Silhouette zuvor in aller Natürlichkeit möglichst transparent präsentiert, verhüllte das Biedermeierkostüm die weibliche Figur bis zur grotesken Überformung.

Elke Gaugele zeigt in "Unter dem Kleid sitzt immer Fleisch" Aspekte der Kleiderreformbewegung um 1900 auf. Dem krankmachenden Korsett wurde nicht nur durch Mediziner der Kampf angesagt. Künstler und nicht zuletzt die Frauen selbst wetterten gegen das beklemmende Gefängnis. Sogar ein Verein zur Verbesserung der Frauenbekleidung entstand 1896 und trug ebenso zur Verbreitung des Reformkleides bei wie die Kreationen von Maria und Henry van de Velde. Bezeichnenderweise baute die Kosmetikerin Helena Rubinstein ab 1892 auf dieser Welle der propagierten "weiblichen Natürlichkeit" das erste Fitness-Wellness-Imperium für "künstliche" Natürlichkeit auf. Eine Strategie die die heutigen chirurgischen Maßnahmen vorwegnahm.

Die "Kontur der Moderne" mit ihrer konstruktiven Sachlichkeit zeichnet Karen Ellwanger in der Kleiderreform der 1920er Jahre nach. Bewegungsfreiheit in unterschiedlichen Kleidungsschichten unterhalb des Bubikopfs sind eine Seite dieser Entwicklung; eine andere ist die grade Linienführung, die Orientierung an der Männermode und natürlich Coco Chanel, die selbst ihren Mythos schuf.

"Documenta Weiblichkeit" von Ingrid Heimann analysiert die Bekleidung der Documenta Besucherinnen zwischen 1997 und 2002 anhand von 730 Fotografien. Akribisch verfolgt sie Schulterformung, Ärmellängen und Beinbekleidungen bis hin zur selbstbewussten Documenta Besucherin von 2002, die es sich - inklusive Sitzkissen - so bequem wie möglich gemacht hat.

Ob Körper an der Mode oder Mode am Körper hängt, ist eine Frage die  Uta Brandes in "Vom Saum zum Bündchen - Körperkonstruktionen und Geschlechterinszenierungen" untersucht. Grundsätzlich gilt jedenfalls, dass Mode keinen Aufschluss mehr über das Geschlecht gibt und extrem viel Beschäftigung mit dem Körper erfordert. Körper machen Leute, nicht unbedingt die Kleider.

Das Interview "Modeschöpfer ziehen an" mit Eva Gronbach lenkt abschließend den Blick weg von der Konsumentin auf die Designerin. Einblicke in die Befindlichkeit der Welt der ModeschöpferInnen und Gronbachs ganz persönlicher Bezug zu dieser Welt sind Herzstück des interessanten Gesprächs.

Das Nachwort steuert Gerhard Dietrich, der stv. Leiter des Museums für angewandte Kunst bei. Sein kurzer, männlicher Blick auf die weibliche Mode regt auf jeden Fall nochmals zum Reflektieren des Gelesenen an.

Wirklich interessant bis zur letzten Seite, mit ausgezeichneten Fotos sowie mit einem geschickt gewählten Layout ausgestattet, kann man mit diesem Buchpreis mehr als nur glücklich sein.

Als passender Lesetipp sei zusätzlich Body Extensions empfohlen.

© S. Strohschneider-Laue

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